Von Stadtarchivarin Christel Droste
Lübbecke. Die aktuelle Gefahrensituation durch die Corona-Pandemie erinnert einige Menschen an die Zustände, die 1944/45 in Deutschland herrschten: Auch vor 75 Jahren war es nicht möglich, jederzeit unbekümmert das Haus zu verlassen und sich mit anderen zu treffen. Auch damals wussten viele um die Bedrohung jedes einzelnen Menschen. Damals ging die Gefahr allerdings nicht von einem Virus aus, sondern vom NS-Regime und dem Krieg. Auch seinerzeit gab es Menschen, die sich ohne zu zögern für ihre Mitmenschen einsetzten. Und es gab Menschen, die „kungelten“, um dringend benötigte Güter zu bekommen oder sie gingen in wahren Scharen „hamstern“. Manche aus purer Not und andere, weil sie den Eigennutz höher achteten als das Gemeinwohl.
Und doch war damals alles ganz anders als heute, denn es gab eben gerade keine demokratischen Grundrechte mehr und keine Staatsgewalt, die sich dem Wohle der Bevölkerung verpflichtet wusste. Im Gegenteil: Reichspropagandaminister Joseph Goebbels hatte die Menschen bereits im Februar 1943 im Berliner Sportpalast auf einen „totalen Krieg“ und damit auf ein immer größer werdendes Meer aus Blut und Tränen eingeschworen. Danach dauerte es noch mehr als zwei Jahre, ehe die Waffen schwiegen.
Das offizielle Datum für die bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht in den Kämpfen des Zweiten Weltkrieges ist der 8. Mai 1945. Im besiegten, besetzten und vielerorts zerstörten Deutschland war der Krieg für zahlreiche Menschen jedoch schon Wochen zuvor beendet, nachdem alliierte Truppen ihren jeweiligen Heimatort besetzt hatten. So auch im Lübbecker Land. Hier waren die Alliierten Anfang April 1945 eingetroffen.
Die Lübbecker Stadtchronik1, seinerzeit geführt von Stadtoberinspektor Paul Berndt (1883-1946), gibt eindrücklich Kunde von den letzten Kriegsmonaten und dem Einzug der Alliierten. Berndt schildert erstaunlich offen, dass die Zahl der Luftangriffe 1944/45 stark zunahm.2 Beinahe täglich überflogen feindliche Bomber die Stadt. Zeitzeugen berichten, dass sie am Nachthimmel oft den hellen Lichtschein der von den Briten über Osnabrück und Hannover abgeworfenen „Christbäume“ gesehen haben. Dabei handelte es sich um tropfenartig abbrennende Markierungsbomben, die an Fallschirmen befestigt waren. Während sie zur Erde schwebten, erleuchteten sie das Land minutenlang und wiesen den nachfolgenden britischen Bomberverbänden den Weg3. Im Lübbecker Land waren direkte feindliche Angriffe eher selten. Die Alliierten versuchten jedoch, die Heeresmunitionsanstalt Lübbecke in Espelkamp zu treffen und beschränkten sich ansonsten häufig auf Notabwürfe von Bomben. Allerdings hatte auch das mancherorts fatale Folgen. So waren beispielsweise Drohne, Oppendorf und Sundern Ende 1944/Anfang 45 bereits in weiten Teilen durch Flugzeugabstürze beziehungsweise Bombenabwürfe zerstört4. Die Kreisstadt Lübbecke war von derartigen Szenarien bis dahin noch weitgehend verschont geblieben.
Im September 1944 hatte die Waffen-SS Leibstandarte Adolf Hitler in Lübbecke und den umliegenden Dörfern Quartier genommen. In der Kreisstadt war sowohl der Divisionsstab mit etwa 50 Offizieren als auch eine Sanitätsabteilung unter anderem in sämtlichen Schulen, in der damaligen Gauschulungsburg und im Finanzamt an der Hermann-Göring-Straße (heute Amtsgericht an der Kaiserstraße) untergebracht. Zudem lagen weitere Kommandos in Lübbecke, so vom Wehrmachtsbefehlshaber der Niederlande, vom Intendanten des Wehrmachtsbefehlshabers der Niederlande und die Companie G des Landschützenbataillons Bünde, der ständig ein Unteroffizier-Ausbildungs-Lehrgang angegliedert war. Die Stadt und die umliegenden Dörfer waren also stark mit militärischen Einheiten belegt und die feindlichen Angriffe wurden auch hierzulande immer bedrohlicher.
Die Stadtchronik berichtet, dass am Vormittag des 8. Dezember 1944 der zwischen Lübbecke und Gestringen fahrende Personenzug in Höhe des Rampenweges auf freier Strecke von sechs feindlichen Tieffliegern angegriffen wurde. „Die Flieger aus Richtung Bielefeld, über das Wiehengebirge kommend, griffen in 5 Anflügen den haltenden Zug an. Nach mehrmaligem Kurven wurde zuerst die rechte, sodann die linke Bahnseite beschossen. Die Reisenden verließen eiligst den Zug und begaben sich in die in unmittelbarer Nähe vom Bahndamm liegenden Wohnungen Triesebaum, Büttemeier und Köhme. Ein Teil der Reisenden wurde daher beim Aussteigen, ein weiterer an der Böschung von feindlichen Geschoßgarben getroffen. Eine Reisende (…) aus Münster (…), z. Zt. nach Vehlage 46 evakuiert, wurde sofort getötet und die Verkäuferin (…) aus Gelsenkirchen (…), z. Zt. nach Twiehausen 74 b. Kröger evakuiert, so schwer verwundet, daß sie kurz nach der Einlieferung in das hiesige Krankenhaus verstarb. 4 weitere Personen wurden schwer, 4 Personen leicht verletzt. Die Lokomotive wurde durch 5 Einschüsse in den Kesselraum beschädigt und unbrauchbar. Der Lokführer Kipp – Rahden blieb unverletzt, dagegen wurde der Heizer Becker – Rahden am rechten Oberarm verwundet. Die den Zug begleitende Schaffnerin Erika Abaxim wurde durch Streifschuß am linken Unterschenkel leicht verletzt. Der Packwagen erhielt 17 Treffer, 2 Personenwagen wurden am Dach und in der Wandung beschädigt. Der Angriff erfolgte mit 2 cm. Bordkanonen (Explosivgeschosse) und 1,3 cm. Maschinengewehr. Außerdem wurden in unmittelbarer Nähe des Bahnkörpers 7 Sprengbomben mittleren Kalibers abgeworfen ohne Schaden anzurichten. Mehrere 100 Einschläge[,] von Bordkanonen herrührend, waren auf beiden Seiten des Bahnkörpers zu bemerken. Die erste Hilfe leisteten der Landwirt Fritz Schnare, Rahdenerstraße 179, die Ärzte Dr. Müller und Dr. Marx – Lübbecke, sowie die Freiwillige Sanitätskolonne Lübbecke und die Sanitäter des Bahnhofs. Die Tote und die schwerverwundeten Reisenden wurden mit dem Sanitätsauto zum Krankenhaus in Lübbecke gebracht. Die Strecke war um 13.23 Uhr wieder frei. Bei diesem feindlichen Tiefangriff sind noch weitere Geschosse im Stadtgebiet niedergegangen und haben in und an Häusern Einschläge verursacht. Es fanden jedoch nur leichte Beschädigungen statt, so an mehreren Häusern der Niedertorstraße, am Hause Friedhofstraße 1, am Fabrikgebäude Blase, Mindenerstraße, am Fabrikgebäude von Vogeler, am Wohnhause Herzog, Jahnstraße usw. Ein Geschoß drang durch das Oberlicht des Hauses Stolz, Niedertorstraße 24 und traf die Witwe Klostermann (…), die im Begriff war, den Luftschutzkeller aufzusuchen. Sie wurde am Körper erheblich verletzt und mußte ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ein Sprengkörper (Blindgänger) ging vor dem Siedlungshause Broich, Karlstraße 1 nieder, so daß das Haus wegen Explosionsgefahr bis zum Eintreffen des Sprengkommandos geräumt werden mußte. Dieser Sprengkörper ist beim Bahnbeschuß (s. oben) niedergegangen, weil das Broich’sche Anwesen unmittelbar am Bahndamm liegt.“
Noch ganz im NS-Jargon fasste Berndt das Jahr 1944 zusammen: „Auch im Jahre 1944 mußte sich das deutsche Volk noch mit der Waffe gegen eine Welt von Feinden verteidigen. Nach der Landung der Anglo-Amerikaner in der Normandie Anfang Juni faßte die deutsche Führung den schweren Entschluß, die Verteidigung auf die Reichsgrenzen zurückzunehmen und dadurch die Nachschubwege zu verkürzen. Unsere engere Heimat war dadurch näher an die Front herangekommen. Flüchtlinge aus den Grenzgebieten, aus dem Aachener Bezirk, aus Holland, mußten in unserem Heimatstädtchen untergebracht werden. Ebenso brachte es der Luftkrieg mit sich, daß aus gefährdeten Gebieten Mütter und Kinder evakuiert wurden und hier Aufnahme fanden. So zählte die Stadt Lübbecke am 26.9.1944 rund 1560 Evakuierte in seinen [ihren] Mauern und am 20.11.1944 waren es rund 2000 Evakuierte und Flüchtlinge.“ Das bedeutete eine große Herausforderung für die einheimische Bevölkerung, denn für die Evakuierten und Flüchtlinge musste nicht nur eine Unterkunft gefunden, sondern auch die Versorgung mit Lebensmitteln übernommen werden. In vielen Häusern herrschte daher eine drangvolle Enge, schließlich waren für die Lübbecker Kernstadt zuvor lediglich etwa 6.000 Menschen gemeldet.
Stadtoberinspektor Berndt hielt im Folgenden fest, ein feindlicher Bomber sei 1944 am Rande des Stadtgebietes abgestürzt und habe den Brand an einem Heuerlingshaus der Gutsverwaltung Obernfelde verursacht. Nähere Einzelheiten dazu führte er nicht auf. Stattdessen schilderte Berndt, dass die Lübbecker Feuerwehr 1944 zu mehreren Einsätzen ausrücken musste. Einmal sei die Wehr sogar für mehrere Tage zum Einsatz nach Bielefeld ausgerückt, weil die Stadt durch Bomben stark in Mitleidenschaft gezogen worden war. In Lübbecke aber herrschte trotz alledem noch immer ein Rest Normalität. „Trotz Krieg und Not war die Stadtverwaltung für das Gemeinwohl besorgt. Die Blüttenstraße [die damalige Verbindungsstraße zwischen der Niedernstraße und der Langen Straße, östlich der heutigen Wallstraße] wurde mit einem neuen Pflaster versehen und Anfang März [1945] fertiggestellt. Die städtischen Finanzen neigten indessen zu einer wenig erfreulichen Entwicklung. Bürgersteuer und Gewerbesteuer waren auf das Reich übergegangen. Die Abfindung für diese Steuern war weit geringer ausgefallen, als anfangs erwartet werden konnte. Dagegen wurden die Kriegsbeiträge und die Kreisumlagen erhöht. Die Stadt Lübbecke rechnet mit einem Fehlbetrage von rund 21500 RM vierteljährlich gegenüber ihrem Haushaltsplan. Schon sind weitere Erhöhungen des Kriegsbeitrages der Länder um 70 % angekündigt und es ist anzunehmen, daß auch die Gemeinden nicht verschont bleiben werden. Das Reich muß auch den Krieg finanziell gewinnen, anders können auch die Gemeinden nicht leben und gedeihen. Die Stadtwerke konnten ihren Betrieb aufrechterhalten und allen Schwierigkeiten Herr werden. Der Gas- und Wasserverbrauch stieg weiter an, wohl durch den Zuzug der Evakuierten verursacht. Kohlen für das Gaswerk waren mitunter knapp, doch immer trafen noch rechtzeitig neue Lieferungen ein. Der Wasserweg war zeitweilig versperrt und die Bahnverbindungen mitunter an einigen Stellen durch feindliche Bomber gestört und unterbrochen. Dennoch verstand es die deutsche Reichsbahn, den lebensnotwendigen Transport sicherzustellen. Wir stehen im sechsten Jahr der bewaffneten Abwehr. Möge es der deutschen Führung gelingen, einen vollen Sieg zu erreichen zum Wohle des deutschen Volkes und der Menschheit.“
Doch der von vielen noch immer herbeigesehnte „Endsieg“ kam nicht. Im Gegenteil: „In der Nacht vom 2. zum 3. März 1945 fiel im Pettenpohl vor dem Grundstück des Ober-Steuerinspektors Worminghaus, von feindlichen Fliegern abgeworfen, eine Bombe und riß die Vorderfront des W.‘schen Hauses ab. Eine Hausgenossin der Familie W., das evakuierte Fräulein Helene Sieber aus Braunschweig, erlitt dabei den Heldentod. Ehre ihrem Andenken!“
Selbst zu diesem Zeitpunkt suchte man in der Presse noch vergeblich nach Informationen, wie es tatsächlich um die angeblich weiterhin siegreiche Wehrmacht bestellt war und auch Hinweise auf die Bombenschäden in Lübbecke fehlten. Kein Wunder, denn eine freie Presse existierte bereits seit Jahren nicht mehr. Die in Lübbecke seinerzeit erscheinende Zeitung „Westfälische Neueste Nachrichten“, die sich als „NS. Volksblatt für Westfalen“ und „Amtliches Organ der NSDAP und sämtlicher Behörden“ bezeichnete, titelte denn auch am 5. März 1945 noch voller Zuversicht: „Harte Abwehr an West- und Ostfront. Erbitterter Widerstand gegen Feindansturm. Sowjetdurchbruch gescheitert.“ Zudem ließ die Zeitung ihre Leserschaft wissen, der Gau Westfalen-Nord, zu dem auch das Lübbecker Land gehörte, stehe da wie „ein Fels im brandenden Meer“. Doch die Öffentlichkeit glaubte der NS-Propaganda längst nicht mehr. Stattdessen war die streng kontrollierte Einhaltung der Verdunklungsvorschriften den Menschen in Fleisch und Blut übergegangen. So meldete die Zeitung entsprechend für Lübbecke: „Wir verdunkeln heute von 18.11 [Uhr] bis morgen 6.59 [Uhr].“5
Allgemein war bekannt, dass die alliierten Verbände unaufhaltsam vorrückten. Die Stadtchronik berichtet: „Am 24. März 1945 vormittags 9 ¾ wurden abermals durch feindliche Flieger Bomben über unserer Stadt abgeworfen. Eine Bombe fiel mitten auf den Marktplatz, beim Gemüsestand von Berg – Eilhausen, und verursachte einen großen Trichter. Zwei alte Lindenbäume wurden entwurzelt u. 1 Gaskandelaber umgebrochen. Die Wochenmarktbesucher konnten (sich) schon vorher flüchten. Dagegen gingen eine große Anzahl Fenster- und Schaufensterscheiben sowie Fensterkreuze in Trümmer und mehrere Hausdächer wurden mehr oder weniger beschädigt. Von den beschädigten Häusern sind besonders zu nennen: das Rathaus, Haus C. Pötting, Haus Koepsell, das städt. Lager am Markt, die Volksschule am Markt. Weitere Bomben, vermutlich zwei, fielen auf die Häuser Langestraße 26, Besitzer Kaufmann Fritz Wippermann und Kaufmann Karl Klute, Langestraße 28. Diese Häuser wurden in ihren Vorderteilen völlig in Trümmer gelegt. Diesem Terrorangriff fielen zum Opfer: Frau Käthe Wippermann, Ehefrau des vorgenannten Kaufmanns Fritz Wippermann, der Enkelsohn Hans Wippermann (…), Frau Elisabeth Wieners (…) aus Minden (Verwandte), deren Kinder: Christel 7 Jahre alt u. Barbara, 1 Jahr alt, Frau Sophie Klute, Ehefrau des vorbenannten Kaufmanns Karl Klute, 62 Jahre alt. Ehre den Gefallenen! Auch hier wurden die benachbarten Häuser, namentlich diejenigen des Fabrikanten August Holle [heute Rossmann], des Gastwirts Heinrich Lammermann sowie des Schlachtermeisters Wilhelm Heitzeberg mehr oder weniger stark beschädigt.
Die Lage spitzte sich unaufhaltsam zu, dennoch versuchte die NSDAP-Führung, den Anschein der Normalität weiter aufrecht zu erhalten. So fanden noch am 25. März 1945 „allerorten auch in unserer Heimat Verpflichtungsfeiern für die Angehörigen des Jungvolks und des Jungmädelbundes, die in die Hitlerjugend überwiesen“ wurden, statt.6 Andererseits ruhte bereits in vielen Firmen die Arbeit. Etliche Betriebe waren stillgelegt, da es nicht nur an Material, sondern auch an Kohle und Strom fehlte. Nur die Rüstungsbetriebe, von denen es auch hierzulande einige kleine Ableger gab, durften und mussten weiter produzieren. Arbeitskräfte, deren Betrieb stillgelegt war, wurden aufgefordert, sich an Aufräumarbeiten – etwa an zerstörten Bahnanlagen – zu beteiligen.7 Dementsprechend musste sich die Bevölkerung noch mehr als bisher einschränken und in immer größerem Umfang Lebensmittel, Strom und Rohstoffe sparen. Es florierte ein reger Tauschhandel und so wurden zum Beispiel sogar über Anzeigen in der Presse ein Radio gegen einen Kinderwagen und Säuglingskleidung, eine Bratpfanne gegen einen Nachttopf, eine elektrische Kochplatte gegen blaue Wolle oder ein Wollkleid und eine Wohnzimmerlampe gegen ein Fahrrad zum Tausch angeboten.8
Längst hörte man das Donnern der herannahenden Panzer auch im Lübbecker Land, wie die Stadtchronik festhielt: „Nachdem die Feindtruppen (Engländer und Amerikaner) mit ihren Panzern und Spähwagen bis in das Weichbild des Kreises Lübbecke vorgedrungen sind und deutsche Wehrmacht zu einem wirksamen Gegenstoß nicht vorhanden ist, wird für die Stadt Lübbecke ein Widerstand für aussichtslos gehalten. Um eine Zerstörung der Stadt und ein Blutvergießen zu vermeiden, fanden sich die Ratsherren unter dem Vorsitz des Beigeordneten Ed. Gerlach am 30. März [Karfreitag] im Rathaussitzungssaale zusammen und faßten den einstimmigen Beschluß, beim Einmarsch der alliierten Truppen die Stadt kampflos zu übergeben, auch die Panzersperren auf Horst’s-Höhe und in der Bohlenstraße unbesetzt zu halten.“ Ganz so einmütig, wie Stadtoberinspektor Berndt es schildert, dürfte die Sitzung tatsächlich nicht verlaufen sein. Der frühere Lübbecker Bürgermeister und Kreisleiter der NSDAP, Ernst Meiring, wollte die Stadt nämlich auf keinen Fall kampflos aufgeben, sondern forderte selbst jetzt noch deren Verteidigung.9 Auch in den folgenden Ostertagen hielt er offenbar strikt an seiner Überzeugung fest. Damit entsprach er dem, was der Berliner Leiter der Parteikanzlei, Reichsleiter Bormann, in einem flammenden Appell von der Bevölkerung verlangte, nämlich den „Kampf bis zum letzten Atemzug“.10
Nachdem Meiring sich nicht durchsetzen konnte, verließ er Lübbecke offenbar fluchtartig. Er ließ sich bald darauf, noch vor der Kapitulation, beim Anmarsch der Russen bei einem Dorfbürgermeister in der Altmark auf den Namen „Ernst Meyer“ eine neue Identität mit falschen Personalpapieren ausstellen. Später ließ er sich zudem unter falschem Namen entnazifizieren. Zwei Straffreiheitsgesetze erleichterten Ende 1949 bzw. Mitte 1954 unter anderem die Amnestie von Straftaten zur „Verschleierung des Personenstandes aus politischen Gründen“. Dafür mussten die falschen Angaben freiwillig vor der Polizeibehörde des Wohnortes berichtigt werden. Davon machte Meiring im Frühjahr 1950 Gebrauch und gab seine wahre Identität preis. Einer Internierung durch die Alliierten sowie einer Verurteilung vor dem Spruchkammergericht entging Meiring dadurch. Hinzu kam, dass sich auch im damaligen Kreis Lübbecke niemand fand, der eine Anzeigen wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit gegen ihn erstattete. Meiring saß nicht einen Tag hinter Gittern.11
Die weiteren Ereignisse in Lübbecke erlebte er vor Ort also nicht mehr mit. In der Stadtchronik heißt es: „Am 3. April – im Laufe des Tages – rückten die ersten englischen Panzer, von Pr. Oldendorf kommend, im Westen der Stadt ein und machten zunächst an der Osnabrückerstraße halt. Ab 4. April untersteht die Stadt der englischen Militärbehörde. Beigeordneter Gerlach wird zum vorläufigen Bürgermeister bestellt. Ihm stehen die Ratsherren Vogel, Wind und Röwekamp zur Seite. Waffen, Munition und Kriegsgerät jeglicher Art sind bis 5. April 1945 17 Uhr auf dem Rathause abzuliefern. Den Einwohnern ist das Verlassen der Häuser von 18 Uhr bis 7 Uhr verboten. Die Stamm[m]annschaften des Wehrmeldeamtes sind schon vor Tagen abgerückt. Zahlreiche deutsche Soldaten, einzeln und in Trupps, durchziehen die Stadt in Richtung Minden. Schon vorher wurden Kriegsgefangene (Franzosen und Russen) in Richtung Osten abtransportiert. Eine Gefahr bilden die russischen Kriegsgefangenen, die in Lägern, Läden und in den Landwirtschaften stehlen und plündern. Mit Genehmigung der Besatzungsbehörde wird eine Hilfspolizei (Stärke 36 Mann) aufgemacht, zu deren Führer Postsekretär Möller ernannt wurde. Es gelingt der Polizei[,] Ordnung und Sicherheit wieder herzustellen. Besonnenheit und Ruhe gewinnen wieder die Oberhand. Die Ernährung der Bevölkerung ist auf keinem Gebiete ins Stocken geraten. Die Verkaufszeit wird auf 9 bis 12 und von 14 bis 18 Uhr festgesetzt. Nach einigen Tagen wird die englische Besatzungsbehörde (Kanadier) durch Amerikaner abgelöst. Führende Parteimitglieder sowie sonstige Persönlichkeiten werden verhaftet, wie Landrat von Borries, stellv. Bürgermeister (Amtsbürgermeister) Brühmann, Lehrer Meiring [Bruder des NSDAP-Kreisleiters Ernst Meiring], Ortsgruppenleiter Westerfeld, Baumeister Schröder (Letzterer wegen Nichtanmeldung von Kriegsgerät). Schröder wird vom Kriegsgericht mit 10000 RM bestraft. Häuser, namentlich solche im Westteil der Stadt und in der Niedertorstraße[,] mußten geräumt werden für Besatzungszwecke und zur Truppenunterbringung. Nach dem Abzug der Amerikaner üben wieder Engländer die Besatzungsmacht aus. Für die Freimachung der aus den beschlagnahmten Häusern auszuquartierenden Bewohner wird ein Quartieramt eingerichtet, dem Ratsherr Wind vorsteht. Am 11. April wird Bürgermeister Gerlach abgelöst und Rechtsanwalt Meyrahn von der Militärregierung zum Bürgermeister der Stadt Lübbecke eingesetzt.12 Dr. Watermann (bisheriger Leiter des Kreiswirtschaftsamtes) wird Landrat. Der Bürgermeister muß täglich die Befehle von der Besatzungsregierung entgegennehmen.“
Die alliierten Verbände waren am 4. April 1945 von Lübbecke aus sofort weiter Richtung Gehlenbeck gezogen. Kurz vor Ostern waren hier noch vereinzelt Bomben gefallen, offenbar Notabwürfe. Sie hatten aber keine nennenswerten Schäden angerichtet. Auch in Gehlenbeck lagen jedoch noch zahlreiche deutsche Soldaten. Sie logierten nicht nur in der Schule und Turnhalle, sondern auch im Saal der Gastwirtschaft Blase, auf Deelen und in Ställen und hoben noch Stellungen und Unterstände aus. Unmittelbar vor dem Eintreffen der Alliierten gelang es jedoch, die deutschen Soldaten zum Abzug zu bewegen. Die Panzersperre in der Ortsdurchfahrt wurde vom Volkssturm bewacht. „Vor Herannahen der Engländer setzte sich der Ortsvorsteher Pohlmann gegen Ortsgruppenleiter Brinkmann mit der Entscheidung, Gehlenbeck nicht zu verteidigen, durch und ordnete an, daß die Sperre offen zu bleiben habe. Brinkmann drohte ihm, das werde ein Nachspiel haben. (…) Der Volkssturm löste sich nach der Entscheidung an der Panzersperre auf, die Munition wurde vergraben, die Waffen wurden (…) versteckt.“13
So friedlich wie in Lübbecke und Gehlenbeck verlief das Kriegsende keineswegs im gesamten Kreisgebiet. Bekannt sind die Ereignisse in Nettelstedt, wo ein Feldwebel mit 10 Mann versuchen sollte, die Alliierten aufzuhalten. Der Augenzeuge Heinrich Gerdom berichtete später, an den Ostertagen sei von Minden aus ein Bataillon nach Nettelstedt verlegt worden, „um an dieser schmalsten Stelle zwischen Moor und Wiehengebirge den Panzervormarsch zu stoppen. So waren die Panzersperre im Dorf und ein Laufgrabensystem oberhalb des Friedhofs“ angelegt worden. „Am 4. April beschoß die Panzerspitze von der Windmühle in Eilhausen aus Soldatengruppen und Zivilisten, die auf dem Weg ins Moor, zum Aspel und zum Husen waren. Die Panzersperre war verschlossen, als der vorderste Kampfverband von 12 Shermanpanzern auf der Hauptstraße (…) vorrollte. (…) Einige Panzer nahmen die Sperre unter Beschuß und die vordersten versuchten, den Vormarsch durch die Schmiedestraße (heute Raiffeisenstr.) fortzusetzen.“ Gerdom beobachtete, wie der vorderste Panzer die Enge zwischen zwei Höfen erweiterte, indem er den Ständer eines Fachwerkhauses derart eindrückte, dass der Giebel zusammenstürzte. „Ungeduldig wartete der Major auf die Öffnung der Panzersperre, während Heinrich Klostermann an der Kapelle die weiße Fahne schwenkte. (…) es heißt, der Major habe schon Luftunterstützung angefordert gehabt, als endlich die Sperre zertrümmert (…) war.“ Französische Kriegsgefangene hätten sich sehr dafür eingesetzt, dass das Dorf nicht bombardiert wurde.14
Der Augenzeuge Hermann Pohlmann erinnerte sich, er sei mit seiner Mutter am 4. April 1945 in Nettelstedt in den häuslichen Keller geflüchtet, als die Panzer anrollten. „Nun ging ich noch einmal nach oben um zu sehen, ob die Panzer die Landwehr im Westen schon erreicht hatten. Über den Hügel hinterm Westenfeld konnte ich sie stehen sehen. Sie hielten an. Der erste Panzer war mit einem roten Tuch überzogen. So konnten die feindlichen Flugzeuge die Panzerspitze besser beobachten. Unsere Flieger ließen sich ja schon lange nicht mehr blicken. Mir wurde das Herz schwer. Unser Nachbar Ernst Wilke war auch noch draußen. Er sprach zwei deutsche Soldaten an, (…): ‚Macht uns hier keine Schießerei, daß unsere Häuser noch in Gefahr geraten!‘ ‚Opa, beruhige dich‘, sagte einer und zog ein weißes Tuch aus seiner Manteltasche. Indem kam der Feldwebel dieser Truppe auf den Hof und schrie Ernst Wilke an: ‚Was haben Sie mit unseren Soldaten vor, wofür sind wir 6 Jahre lang Soldaten gewesen? Scheren Sie sich ins Haus!‘ Der Feldwebel war in voller Ausrüstung und hatte auch eine Panzerfaust. Ernst Wilke und ich suchten nun den Keller auf, weil die Panzer angerollt kamen. (…) Es war ein unheimliches Gefühl, als die Panzer an unserem Haus vorbeirollten. Plötzlich hörten wir einen gewaltigen Knall, und die Fahrzeuge standen. Mir wurde gesagt, der Feldwebel hätte (…) die Panzerfaust abgeschossen und wäre dann mit einem Fahrrad geflüchtet.“15 Die Panzerfaust hatte ihr Ziel verfehlt, aber Schaden an mehreren Gebäuden angerichtet. Die Alliierten reagierten sofort. „Nun ging eine wilde Schießerei los (…). Die französischen Kriegsgefangenen sind vom Berg herabgekommen, und besonders der Gefangene von Viekers hat den Amerikanern erklärt: ‚Hier ist kein deutscher Soldat mehr. Hier wohnen gute Leute.‘ Damit wurde das Schießen nach etwa 15 Minuten eingestellt, sonst wäre sicher noch mehr Unheil entstanden. Als das Schießen vorbei war, bin ich aus dem Keller gegangen. Die feindlichen Kolonnen fuhren durch in Richtung Minden. Mehrere Häuser in Nettelstedt standen in Flammen.“ Etliche Höfe waren ganz oder teilweise zerstört. Drei Menschen kamen um. „In der Umgebung von Nettelstedt mögen viele den geröteten Himmel beobachtet haben. Wir konnten in nordwestlicher Richtung den Himmel gerötet sehen und wußten nicht gleich, daß das Dorf Levern brannte.“16
Dort war es zu schweren Kampfhandlungen gekommen, nachdem mehrere Kompanien den Auftrag erhalten hatten, den Ort zu verteidigen. „Bei dem in Levern eingesetzten Bataillon handelte es sich mit Ausnahme der Unteroffiziere und Offiziere zumeist um Soldaten des Geburtsjahrganges 1927, die zum Teil mit 17 Jahren in eine zusammengebrochene Front geworfen wurden. (…) Als sie zu ihrem ersten Einsatz in Levern antraten, waren sie zumeist überzeugt, ehrenhaft für eine gute und gerechte Sache zu kämpfen und maßlos enttäuscht, als sie feststellen mußten, daß die Bevölkerung ihren Einsatz ablehnte, ihre Anwesenheit dagegen Angst und Schrecken verbreitete.“17 Die Befürchtungen bewahrheiteten sich nur allzu schnell. Die einheimische Bevölkerung versuchte mehrfach, weiße Fahnen zu hissen, wurde aber vom deutschen Militär daran gehindert. Mehrere Panzersperren waren geöffnet und so näherten sich die britischen Verbände zunächst ungehindert und in der Hoffnung auf eine friedliche Übergabe. Doch um kurz vor 11 Uhr nahmen die deutschen Truppen die Briten unter Beschuss. Innerhalb kürzester Zeit wurde der gesamte Ort zum Kriegsschauplatz, an dem niemand mehr sicher war. Der historische Ortskern Leverns wurde von den Briten in Schutt und Asche gelegt. Allein in Levern fielen zehn deutsche und sechs britische Soldaten.18 Zahlreiche andere Ortschaften im Gebiet der heutigen Gemeinde Stemwede wurden ebenfalls hart umkämpft, darunter Dielingen und Wehdem. Auch dort kamen mehrere einheimische Zivilisten um - sei es, weil sie in die Schusslinie geraten waren oder gar, weil sie von zurückweichenden deutschen Soldaten erschossen wurden. Dieses Schicksal traf in Wehdem Christian Pieper. Er hatte gewartet, „bis die Nachhut der deutschen Truppen Wehdem passiert hatte. Als die Straße längere Zeit völlig ruhig und ohne jeden Verkehr war, hängte er ein weißes Bettlaken an einen Forkenstiel und stellte die Forke, von Westrup aus gut sichtbar, vor das Haus. Auch in der Nachbarschaft hingen schon vereinzelt weiße Tücher in den Fenstern. – Als aber dann statt der erwarteten Briten noch versprengte deutsche Soldaten auftauchten, trug er Forke und Tuch in das Haus zurück (…). Seine Tochter (…) berichtet: ‚Es war in den frühen Nachmittagsstunden gegen 14.00 Uhr. Plötzlich kam aus Richtung Westrup eine großer, offener deutscher Pkw (…) mit drei Zivilisten. (…) Vor meinem Vater stoppte der Wagen abrupt. Der Mann hinter dem Fahrer sprang aus dem Wagen und fragte meinen schwerhörigen Vater, ob er zuvor eine weiße Fahne aus dem Haus getragen habe. Mein Vater (…) hat wahrscheinlich die an ihn gerichtete Frage nicht verstanden, aber trotzdem ‚Ja‘ gesagt. Daraufhin zog der Mann seine Pistole, schoß einmal in die Luft und mit dem zweiten Schuß Vater in den Kopf. Mein Vater fiel sofort um und war, wie sich später zeigte, wohl auf der Stelle tot gewesen. Der Mörder sprang wieder in den Wagen, der dann in östlicher Richtung durch das Dorf raste. (…) An diesem Tag kamen auch die britischen Besatzungssoldaten nach Wehdem. (…) Für die Trauerfeier und Beerdigung brauchten wir [dann] die Genehmigung der Engländer, die uns bedenkenlos (…) erteilt wurde.‘“19
Nach dem militärischen Zusammenbruch änderte sich das Leben der Bevölkerung also grundlegend – auch durch die Vorgaben der Besatzungsmacht. Die Wirtschaft, die zuvor stark unter den kriegsbedingten Einschränkungen und Sparmaßnahmen gelitten hatte, kam zunächst gänzlich zum Erliegen. Die Menschen waren zermürbt durch die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten, durch die feindlichen Luftangriffe, den Verlust vieler Angehöriger und Freunde und durch die militärische Niederlage. Viele Wirtschaftsbetriebe begannen erst langsam wieder damit, Güter für die zivilen Bedürfnisse der Bevölkerung herzustellen. Im Lübbecker Land stabilisierte sich die Lage jedoch schneller als andernorts, denn die englischen Besatzungstruppen richteten sich ein. Bald stand fest, dass sie ausgerechnet die Kleinstadt Lübbecke als Hauptverwaltungssitz für die gesamte britische Zone ausgesucht hatten. Bereits am 29. Juni 1945 veröffentlichte die „Neue Westfälische Zeitung“, das Nachrichtenblatt der alliierten Militärbehörden, in der Ausgabe für Minden-Ravensberg-Lippe die entsprechende Bekanntmachung: „Lübbecke wird britisches Hauptquartier. Lübbecke in Westfalen mit seinen 12.000 Einwohnern, 25 km von Minden, ist zur Verwaltungshauptstadt der britischen Besatzungszone bestimmt worden. Quartiermacher der britischen Kontrollkommission sind bereits in Lübbecke eingetroffen.“20 Um ausreichend Räumlichkeiten für die Briten vorzuhalten, wurden die Evakuierten aufgefordert, die Stadt zu verlassen und die großen Flüchtlingsströme wurden von Lübbecke ferngehalten und stattdessen in die umliegenden Dörfer geleitet. Die Zahl der von den Briten kurzerhand beschlagnahmten öffentlichen Gebäude und Privathäuser in der Kreisstadt wuchs stetig.21
Der Realschullehrer und Stadtchronist Kurt Heidenreich (1923-1971), der die Chronik nach dem Ausscheiden Berndts seit 1946 weiterführte, hielt rückblickend fest: „Die meisten größeren Verwaltungsgebäude (Behördenhaus an der Kaiserstraße, Landwirtschaftsschule, Berufsschule, Mittelschule, Post, Kreissparkasse, Ortskrankenkasse, Handwerksamt, Bahnhof und Kreishaus), sowie 251 Häuser mit insgesamt 432 Wohnungen wurden beschlagnahmt. Die betreffenden Wohnungsinhaber konnten nur notdürftig anderweitig untergebracht werden und müssen leider (…) in dürftigen Wohnverhältnissen leben.“22
Verständlicherweise waren die Hausverdrängten mit der Abgabe ihrer Wohnungen an die Briten keineswegs einverstanden, zumal sie nur persönliche Kleidungsstücke, Schmuck und Bettwäsche aber nicht einmal die Matratzen der Betten mitnehmen durften. Alle nicht von der Besatzungsmacht beschlagnahmten Möbel, darunter auch wertvolle Dekorationsstücke und dergleichen, mussten in einem Raum im Keller oder auf dem Dachboden des jeweiligen Gebäudes deponiert werden. Dieser wurde von einem britischen Offizier verschlossen und versiegelt.23 Da viele gar nicht daran dachten, diese strengen Bestimmungen einzuhalten und da Ausnahmegenehmigungen selten waren, behielten zunächst etliche Eigentümer einen der Haustürschlüssel, um dann den einen oder anderen Gegenstand noch heimlich aus dem Haus zu schaffen. Das nahm solche Ausmaße an, dass der britische Stadtkommandant dem Lübbecker Bürgermeister am 15. Juni 1945 mitteilte: „Infolge der schweren Verletzungen der Bewilligungen (…) hören alle Abtransporte von Möbeln oder sonstiger Gegenstände von Hab und Gut ausser persönlicher Kleidungsstücke und Gegenstände (…) in Zukunft auf. Jeder weitere Versuch[,] Eigentum aus irgendeinem Haus oder Gebäude abzutransportieren, werden [wird] disziplinarisch geahndet.“24 Doch die Klagen aus der Bevölkerung über die Beschlagnahmungen nahmen kein Ende. Schließlich riss dem Stadtkommandanten der Geduldsfaden. Er teilte dem Lübbecker Bürgermeister mit: „Sollten in Zukunft irgendwelche Klagen bei mir eintreffen, dass Bürger, die räumen müssen, nicht freigegebene Gegenstände (…) mitnehmen, so wird das zur Folge haben, dass statt der Räumungsfrist von 2 oder 3 Tagen nur eine solche von vier Stunden gegeben wird, und während dieser vier Stunden wird sich eine bewaffnete Wache an der Tür befinden, um zu überwachen, dass kein zusätzliches Eigentum von den räumenden Personen mitgenommen werden kann (…).“25 Immerhin wurde von der Öffentlichkeit wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass die Militärregierung bereits am 3. Mai 1945 eine Liste jener gut ausgestatteten Wohnhäuser hatte anlegen lassen, die den örtlichen Anführern der NSDAP gehörten. Diese hatten zu den ersten beschlagnahmten Gebäuden gehört.26
Das Problem des fehlenden Wohnraums sollte die Menschen in Lübbecke noch viele Jahre lang begleiten, zunächst galt es aber, sich noch anderen Herausforderungen zu stellen.27 Nach dem Einmarsch der alliierten Truppen wurden nicht nur einzelne Gebäude besetzt, sondern auch ganze Wohngebiete beschlagnahmt und für Deutsche gesperrt. Schon bald bot sich den Einheimischen das Bild ausgedehnter Stacheldrahtzäune.28 Die Briten hatten das Stadtgebiet zur Sicherheit ihres Hauptquartiers zunächst in zwei Sperrzonen eingeteilt. Das Sperrgebiet 1 umfasste ein Büro-Gebiet mit allen Dienststellen des Hauptquartiers in Lübbecke und Kantinen und Unterkünfte, die zufällig innerhalb des Gebietes lagen. Zum Sperrgebiet 2 gehörte die gesamte Sperrzone im Gebiet der Bohlenstraße und umfasste ebenfalls alle dortigen Unterkünfte und Geschäftszimmer. Um in die Sperrzonen zu gelangen, waren insgesamt vier Kontrollstellen und Eingänge eingerichtet worden. Die erste befand sich an der Kreuzung Osnabrücker Straße/Weingartenstraße, die zweite an der Kreuzung Osnabrücker Straße/Goebenstraße, die dritte war an der Kaiserstraße am Ende des westlichen Bahnhofes und umfasste auch die Treppen in der Bahnhofstraße und Kleistraße, die vierte Kontrollstelle schließlich lag an der Bohlenstraße und Blücherstraße. Deutsche Zivilisten durften das Sperrgebiet nur betreten, wenn sie von britischen Militärkräften begleitet wurden oder im Besitz eines Passierscheins waren. Bis zum 31. Juni 1945 war für dessen Ausstellung noch der Bürgermeister zuständig gewesen. Ab August 1945 stellte die Kontrollkommission selbst drei verschiedene Passierscheine aus: der lange Passierschein war rosa und hatte eine Gültigkeit von bis zu drei Monaten. Er war festen Angestellten der Kontrollkommission, etwa Lager- und Kantinenmitarbeitern, vorbehalten. Der kurze Passierschein war nur am Ausstellungstag gültig. Er war gelb und wurde ausschließlich an solchen Personen ausgehändigt, die kurzfristig zu Aufgaben für die Kontrollkommission oder den Camp-Kommandaten ins Sperrgebiet beordert wurden. Neben diesen beiden gab es noch den Garten-Passierschein, der auf grünem Papier gedruckt wurde. Inhaber eines derartigen „Gardener Passes“ hatten vom Bürgermeister und den britischen Dienststellen die Erlaubnis erhalten, die Sperrzone zu betreten, um in ihrem Garten zu arbeiten und zu ernten. So wollte man den von der Räumung betroffenen Familien zumindest die dringend benötigte Lebensmittelversorgung aus dem eigenen Garten ermöglichen. Der Garten-Passierschein erlaubte das Betreten der Sperrzone sonntags zwischen 7 Uhr und 21.30 Uhr sowie an den übrigen Wochentagen zwischen 7 Uhr und 9 Uhr und von 16:30 Uhr bis 20.30 Uhr.29 Lediglich Kinder unter 7 Jahren durften auch ohne Passierschein in die Sperrgebiete. Voraussetzung war allerdings, dass sie dann von ihren Eltern begleitet wurden, „die für ihr gutes Benehmen verantwortlich sind.“ Selbstverständlich war das Betreten der Sperrzonen grundsätzlich nur außerhalb der allgemeinen Sperrstunden möglich.30 In Ausnahmefällen durften Deutsche, etwa Hebammen und Ärzte, ihre Häuser jedoch auch während der Sperrstunden verlassen.
Um für eine Grundversorgung der Bevölkerung zu sorgen und die Wirtschaft wieder anzukurbeln, hatte der Kommandant der Militärregierung den Lübbecker Landrat bereits am 17. April 1945 davon in Kenntnis gesetzt, dass Rentenzahlungen, die bisher über die Reichsversicherungsanstalten gezahlt wurden, ab sofort bis auf Weiteres vom Kreiswohlfahrtsamt zu übernehmen seien. Des Weiteren wurde bestimmt, „sofort in allen Gemeinden festzustellen, welche Vorräte sich in Fabriken und sonstigen Lägern befinden; und zwar alle Vorräte wie Lebensmittel, Brennstoff, auch Fabrikationsvorräte wie Tabak usw. einschließlich dessen, was am Kanal oder in vor Anker liegenden Schiffen sich befindet (…).“ Alle industrielle und handwerksmäßige Fertigung musste unverzüglich wieder aufgenommen werden. Die Wiederaufnahme der Rüstungsproduktion war selbstverständlich untersagt. Die Auslieferung der Waren und auch der Handel brachten jedoch Probleme mit sich, denn jeder öffentliche Verkehr war auf einen Radius von fünf Kilometer rund um den eigenen Wohnort begrenzt. Ausnahmen waren nur gestattet für Arztbesuche, die Beschaffung von Lebensmitteln und den Weg zum Arbeitsplatz. In solchen Fällen konnte das Landratsamt Ausnahmegenehmigungen ausstellen, die jedoch nur gültig waren, wenn zugleich ein Lichtbildausweis vorgelegt werden konnte.31
Hatten die Deutschen Christen, eine rassistische, antisemitische und am Führerprinzip orientierte Gemeinschaft innerhalb des deutschen Protestantismus, wenige Tage vor dem Einmarsch der Alliierten noch per Tageszeitung zum Gottesdienst am Ostermontag eingeladen32, sah die Lage jetzt auch für die Evangelische Kirche ganz anders aus. Etliche Pfarrer im Lübbecker Land hatten den Deutschen Christen während der NS-Zeit ohnehin ablehnend gegenübergestanden und sich stattdessen der Bekennenden Kirche um Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer angeschlossen. Nun war allen Geistlichen bekanntzugeben, „dass der Gottesdienst in der Form wieder stattzufinden hat, wie er vor der Behinderung durch die Partei ausgeübt wurde.“33 Geistlichen, die sich in politische Belange einmischten, drohte die Verhaftung. Darüber hinaus hatten alle deutschen Soldaten gemäß der Bestimmungen des britischen Stadtkommandanten unverzüglich bei der Meldebehörde vorstellig zu werden. Sie sollten jedoch nicht inhaftiert, sondern schnellstmöglich dem Arbeitsmarkt zugewiesen werden. Wer jedoch „einem Angehörigen der deutschen Streitkräfte zwecks Vermeidung seiner Gefangennahme Beihilfe leistet, wird nach den Vorschriften der Militärregierung mit dem Tode bestraft“, drohte der Stadtkommandant.34
Auch die Zahl und der genaue Lagerort der in den Stadt- und Landgemeinden noch vorliegenden Panzerfäuste und Waffen war den Besatzern mitzuteilen.35 Das erschien besonders deshalb dringend geboten, weil die noch nicht abgegebenen Kampfmittel eine Gefahr darstellten. Wie groß sie war, hatte man unmittelbar zuvor in Lübbecke zu spüren bekommen. Stadtchronist Berndt hielt dazu in der Chronik fest: „Am Sonnabend, den 14. April, gegen 6 ½ Uhr brach im Rathaussitzungssaal Feuer aus. In dem Raume lagerten abgelieferte Waffen, scharfe Munition, auch eine Panzerfaust. Vermutlich hantierten amerikanische oder englische Soldaten mit der Panzerfaust, die explodierte. Der Saal brannte völlig aus. Drei englische Soldaten kamen dabei zu Tode.“36 Die Folgen des Unglücks zeigten sich noch beim Umbau des heutigen Alten Rathauses zum Kultur- und Medienzentrum im Jahre 2007. Als die Decke zwischen dem ersten und zweiten Stockwerk probehalber geöffnet wurde, stießen die Planer auf mehrere stark verkohlte Balken. Offensichtlich hatte man 1945 die Decke kurzerhand wieder verschlossen, ohne die beschädigten Balken zu erneuern.
Immerhin gab es 1945 aber auch gute Nachrichten, denn die Lebensmittelrationen für die Bevölkerung konnten bis Ende des Jahres auf täglich 2000 Kalorien pro Person festgesetzt werden.37 Allerdings waren Lebensmittel zunächst noch immer nicht frei im Handel erhältlich, sondern weiterhin nur über Lebensmittelmarken erhältlich. Das machte die Menschen erfinderisch und der Schwarzhandel blühte. Im landwirtschaftlich geprägten Kreis Lübbecke trafen häufig „Hamsterer“ aus den umliegenden Städten und dem Ruhrgebiet ein, um sich mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen. Doch man kam – ungeachtet der Ausgangssperren und der häufigen Kontrollen sowohl durch die Briten als auch durch die deutsche Wirtschaftspolizei (nach dem Ort ihrer Stationierung kurz „Unna“ genannt) – auch zu Vergnügungen zusammen. Viele Zeitzeugen erinnern sich lebhaft an Holzschuhbälle und den Konsum von illegal gebranntem Schnaps.
Auch für die Schulkinder setzte schließlich wieder ein geregelter Alltag ein. Nachdem die örtlichen Schulen zunächst im Herbst 1944 geschlossen worden waren, um die Angehörigen der Waffen-SS darin einzuquartieren, war danach der Unterricht längere Zeit, zuerst kriegsbedingt und dann aufgrund der Beschlagnahmung der Gebäude durch die Briten, ausgefallen. Allerdings verlangte die Militärregierung schon im Mai 1945, dass alle Schulkinder und Lehrkräfte die bisher genutzten Lehrbücher sammeln und in den Schulen einschließen sollten.38 Damit sollte die weitere Verbreitung des in den Büchern propagierten nationalsozialistischen Gedankenguts unterbunden werden. Nach mehrmonatiger Pause wurde der Unterricht schließlich am 6. November 1945 in allen Klassen der Volksschule wieder aufgenommen.39
Doch auch beim Jahresende 1945 war die Stimmung vielerorts noch gedrückt. Allein in der heutigen Lübbecker Kernstadt hatte man zwischen 1939 und 1944 insgesamt 89 Kriegssterbefälle zu beklagen. Immerhin konnten aber zwischen Mai und Dezember 1945 auch 175 Kriegsgefangene wieder in der Heimat begrüßt werden. Bis Anfang 1950 erhöhte sich diese Zahl auf insgesamt 437 ehemalige Soldaten. Das tröstete jedoch kaum darüber hinweg, dass auch im März 1950 noch 216 Angehörige der früheren Wehrmacht vermisst wurden.40 So manches Schicksal – nicht nur deutscher Soldaten, Flüchtlinge und Vertriebener, sondern auch von Mitgliedern der jüdischen Gemeinden sowie etlicher politisch Verfolgter, ausländischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener – konnte bis heute nicht geklärt werden.
Vieles hat sich seit 1945 in unserem Alltag geändert. Aus den Feinden von einst sind bald Freunde geworden, weil die Menschen gelernt haben, den Blick nicht nur auf ihre Unterscheide, sondern auf ihre Gemeinsamkeiten zu lenken. Manche Sorgen und Nöte von damals wurden längst gelöst und sind für uns heute kaum noch vorstellbar. Für andere Herausforderungen der Nachkriegszeit zeichnen sich Parallelen zu unseren Lebensumständen ab und wieder andere wurden von ganz neuen Problemen verdrängt. Und doch ist gerade deshalb der Rückblick auf das Kriegsende vor 75 Jahren wichtig. Er erinnert uns einerseits eindrücklich an die Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Andererseits erinnert er uns daran, dankbar für unsere heutigen freiheitlichen Grundrechte zu sein, die uns aber auch in die Pflicht nehmen und uns tagtäglich zu politischer Wachsamkeit und Mitmenschlichkeit aufrufen. Bundespräsident Richard von Weizsäcker drückte das in seiner viel beachteten und auch heute noch aktuellen Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985 so aus: „Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mußten. Er ist zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen. Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Die Menschen, die ihn bewußt erlebt haben, denken an ganz persönliche und damit ganz unterschiedliche Erfahrungen zurück. Der eine kehrte heim, der andere wurde heimatlos. Dieser wurde befreit, für jenen begann die Gefangenschaft. Viele waren einfach nur dafür dankbar, daß Bombennächte und Angst vorüber und sie mit dem Leben davongekommen waren. Andere empfanden Schmerz über die vollständige Niederlage des eigenen Vaterlandes. Verbittert standen Deutsche vor zerrissenen Illusionen, dankbar andere Deutsche vor dem geschenkten neuen Anfang. (…) Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie läßt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“41
Im Frühjahr 2020
Autorin: Christel Droste, Stadtarchivarin
1 Für die Schilderung der Ereignisse wurde die Stadtchronik der Jahre 1938-1946 zu Grunde gelegt. Auch die folgenden Zitate stammen, sofern nicht anders vermerkt, aus: Stadtarchiv Lübbecke (künftig: StadtAL), Stadtchronik 1938-1946. Berndt hatte die Führung der Stadtchronik Ende 1939 vom vorherigen Chronisten, dem Vermessungsinspektor des Kreises Lübbecke, Fritz Kohlmeier, übernommen.
2 Berndts Schilderungen standen zum Teil den Bestrebungen der NSDAP entgegen, der deutschen Bevölkerung die bedrohliche Realität zu verschweigen. Das galt besonders für die Stadtchronik, die seit 1938 auf Anordnung des damaligen Bürgermeisters und Kreisleiters der NSDAP, Ernst Meiring, ausdrücklich als „Heldenchronik“ angelegt werden sollte. Andererseits waren die desolaten Zeitumstände der Bevölkerung 1944/45 natürlich längst bekannt.
3 Vgl. Helmut Hüffmann. Kriegsende 1945 in Lübbecke. Gedenken zum 50. Jahrestag des Kriegsendes. Vortrag des Stadtarchivars Helmut Hüffmann vor dem Rat der Stadt Lübbecke am 4. Mai 1995. In: https://www.luebbecke.de/Unsere-Stadt/Stadtgeschichte/index.php?La=1&object=tx,522.112.1,522.1.1 am 24.03.2020.
4 Zu den dortigen Ereignissen vgl. z. B. Heinz Redecker. Stemwede. Junge Gemeinde – alte Dörfer. Bilder der Vergangenheit. Uhle & Kleimann, Lübbecke, 3. Aufl. 1994, S. 112 f., Ders. Weiße Fahnen – und doch kein Ende. Kämpfe in Levern und die Besetzung des Landes Stemwede. April 1945, Verlag Uhle & Kleimann, Lübbecke, 1995, S. 15-32 und Autorenteam um Gertrud Premke. Sundern – gestern und heute. Geschichten, Bilder und Erzählungen aus dem Dorf Sundern in Stemwede. O. A., 2018, S. 59 ff. sowie Oppendorf – Ort zwischen Berg und Bruch. Die Nacht der Katastrophe. 16. Dezember 1943. Uhle & Kleimann, Lübbecke, 1993.
5 Westfälische Neueste Nachrichten. Ausgabe G. 05.03.1945. Die Überwachung der Verdunklung gehörte zu den Aufgaben des Luftschutzes. Alle Häuser, Fabriken und Straßenlaternen sowie selbst die Beleuchtung von Fahrzeugen, seien es LKW, PKW oder gar Fahrräder, unterlagen der Verdunklung. Damit wirklich kein Lichtschein mehr zu sehen war, boten die Hersteller von Glühbirnen sogar besondere Leuchtmittel an. Das Glas der Glühbirnen war in blaue Farbe getaucht worden. Dadurch gaben die Lampen allerdings so wenig Licht, dass manche die Farbe kurzerhand an einigen Stellen abkratzten, um etwas mehr Licht zu haben.
6 Westfälische Neueste Nachrichten. Ausgabe G. 24./25.03.1945.
8 Ebd. und Ausgabe vom 31.03./02.04.1945.
9 Zu den Ereignissen s. Dieter Besserer. 300 Jahre Stadtgeschichte Preußisch Oldendorf. 1050 Jahre „Aldenthorpe“. Kölle-Druck. Preußisch Oldendorf, 2019, S. 203 ff. Dort werden auch die Ereignisse rund um das Lufttanklager Preußisch Oldendorf.
10 Ebd. 03.04.1945. Vgl. auch die Tagebucheinträge des Lübbecker Fabrikanten, Ratsherrn, Beigeordneten und zeitweiligen Bürgermeisters Eduard Gerlach in Helmut Hüffmann. Kriegsende 1945 in Lübbecke. Gedenken zum 50. Jahrestag des Kriegsendes. Vortrag des Stadtarchivars Helmut Hüffmann vor dem Rat der Stadt Lübbecke am 4. Mai 1995. In: https://www.luebbecke.de/Unsere-Stadt/Stadtgeschichte/index.php?La=1&object=tx,522.112.1,522.1.1 am 24.03.2020.
11 Die Angaben zu Ernst Meiring stammen aus: Wolfgang Stelbrink. Die Kreisleiter der NSDAP in Westfalen und Lippe. Versuch einer Kollektivbiographie mit biographischem Anhang. Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Münster (Hg.). Münster, 2003.
12 Nachdem die Briten zunächst Eduard Gerlach und dann am 11. April 1945 den Rechtsanwalt und Notar Wilhelm Meyrahn (1885-1945) zum Bürgermeister erklärt hatten, musste nach der schweren Erkrankung des Letztgenannten schon bald eine Nachfolgeregelung getroffen werden. Die Stadtchronik berichtet zum 25. September 1945, der frühere Lübbecker Bürgermeister Reineke sei durch Verfügung des Regierungspräsidenten zunächst kommissarisch wieder mit dem Amt betraut worden. Reineke hatte die Geschicke der Stadt bereits von 1922 bis 1933 geleitet und war dann von der NSDAP aus dem Amt gedrängt worden. Vgl. StadtAL, Stadtchronik 1938-1946, S. 404 und StadtAL, Stadtchronik 1914-1935, mehrfach zum Jahre 1933. Da Reineke kurz nach dem erneuten Amtsantritt zeitweilig erkrankt war, übernahm er den Posten des Bürgermeisters der Stadt Lübbecke nach einem kurzzeitigen Ausfall zum 1. März 1946 erneut. Am 17. April 1946 trat Reineke das Amt des kommissarischen Stadtdirektors der Stadt Lübbecke an. Aus gesundheitlichen Gründen war ihm die dauerhafte Amtsführung jedoch nicht möglich. Im Juli 1947 nahm er daher von einer dauerhaften Wahl Abstand.
13 Werner Fabis. Gehlenbeck. Ein Dorf im Spiegel der Geschichte. Heimatverein Gehlenbeck (Hg.). JCC Bruns, Minden, 2007, S. 216 f.
14 Heinrich Gerdom. Das Panzergefecht in Nettelstedt. In: Hanna Wilde (Hg.). Neue Nettelstedter Blätter für Ortsgeschichte. Nr. 18, April 1992. S. 6 f.
15 Hermann Pohlmann. Ein böser Tag für unser Heimatdorf Nettelstedt. In: Hanna Wilde (Hg.). Neue Nettelstedter Blätter für Ortsgeschichte. Nr. 18, April 1992. S. 4 f.
17 Heinz Redecker. Weiße Fahnen – und doch kein Ende. Kämpfe in Levern und die Besetzung des Landes Stemwede. April 1945, Verlag Uhle & Kleimann, Lübbecke, 1995, S.65 ff.
20 „Neue Westfälische Zeitung“. Ausgabe für Minden-Ravensberg-Lippe. 29.06.1945.
21 Siehe dazu auch Helmut Hüffmann: Lübbecke und die britische Kontrollkommission im Jahre 1945.
22 StadtAL, Stadtchronik 1945-1966, S. 19.
23 StadtAL D 27, Bl. 7. Über den weiteren Umgang mit den beschlagnahmten Möbeln geben Zeitungsartikel Aufschluss. Die Westfalen-Zeitung teilte in ihrer Ausgabe vom 06.09.1951 unter der Überschrift „Ausgabe beschlagnahmter Möbel“ mit, Mobiliar, das die Briten nicht mehr benötigten, werde zurückgegeben. Die ins Schützenhaus verbrachten Gegenstände könnten dort besichtigt werden. Erkenne jemand sein Eigentum wieder, erhalte er es zurück. Was nicht abgeholt werde, stehe anschließend öffentlich zum Verkauf. Die Freie Presse berichtete am 28.01.1957, dass etliche Möbel im Lübbecker Schützenhaus versteigert worden seien. „Die Möbelstücke waren in einem solchen Zustand, daß nur ein geringer Erlös für sie erzielt wurde. Dabei war unter den Gegenständen manches ehemals wertvolle, antike Stück zu sehen (…). Aber nach der Behandlung, die diese Möbel erfuhren, wäre es auch dem geschicktesten Handwerker wohl kaum gelungen, sie so zu restaurieren, wie sie eben für eine Familie Erinnerungswert besitzen.“
27 Aufgrund der drängenden Wohnungsnot gründeten die aus ihren Wohnungen vertriebenen Lübbecker eine „Notgemeinschaft der Besatzungsverdrängten“. Obwohl bald nach dem Kriegsende ein reger Baubetrieb in Lübbecke einsetzte, um zusätzlichen Wohnraum für die Briten und die Hausverdrängten zu schaffen, waren noch 1957 zahlreiche Wohnungen beschlagnahmt. Die Lage entspannte sich erst, nachdem im selben Jahr die ersten Blocks des neu errichteten Camps an der Bleichstraße bezogen werden konnten. Freie Presse vom 04.04.1957. Die Notgemeinschaft löste sich wenig später auf.
28 Vgl. StadtAL, Stadtchronik 1945-1966, S. 105.
29 Die Genehmigung zur Gartennutzung wurde den deutschen Hauseigentümern im Juni 1947 weitgehend entzogen. Seitdem stand die Gartennutzung den britischen Militärangehörigen zu. StadtAL D 54, Bd. II, Bl. 555‘.
30 StadtAL D. 54, Bl. 287 und 287‘.
32 Westfälische Neueste Nachrichten, Ausgabe G. 31.03./02.04.1945.
36 StadtAL, Stadtchronik 1938-1946, S. 403 f.
37 StadtAL, Stadtchronik 1938-1946, S. 404.
39 StadtAL, Stadtchronik 1938-1946, S. 404.
40 StadtAL, Stadtchronik 1946-1966, S. 10 f.
41 Richard von Weizsäcker. Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa. In: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Richard-von-Weizsaecker/Reden/1985/05/19850508_Rede.html am 25.03.2020.