Stadt Lübbecke

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Streit um Schuhe, Stiefel und Pantoffeln aus Herford

Am 26. November 1636 lag dem Lübbecker Stadtgericht eine Klage des heimischen Schuhmacheramtes1 vor. Angeklagt war das gleichnamige Herforder Amt. Die Herforder Schuhmacher waren den Lübbeckern zu einer lästigen Konkurrenz geworden. Sie drängten auf die Lübbecker Kram- und Viehmärkte, um dort ihr Schuhwerk feilzubieten.2 Dabei waren die Herforder von den Lübbeckern behindert worden. Beschwerden der Herforder im Lübbecker Rathaus hatten wenig genützt. Die Lübbecker Schuhmacher verwiesen auf ein Privileg, das ihnen von „Ritterschaft, Bürgermeister und Rat zu Lübbecke“ am 8. Januar 1470 gewährt worden war und fremden Schuhmachern den Zutritt zu den Lübbecker Märkten verwehrte. Davon ausgenommen waren die Schuhmacher aus der Hauptstadt Minden. Um die lästige Herforder Konkurrenz loszuwerden, beriefen sich die Lübbecker Schuhmacher in ihrer Klage auf ein Privileg aus dem Jahre 1470, das ihnen am 29. März 1603 von dem Mindener Bischof Christian von Braunschweig-Lüneburg bestätigt worden war.3 Auch den außerstädtischen Schuhhandel vor den Stadttoren hatte der Bischof untersagt. Nach Meinung der Herforder hatten Missgunst und Eigennutz der Lübbecker zu dieser Situation geführt.

Das Lübbecker Schuhmacheramt war nicht gewillt einzulenken und wünschte ein Gerichtsurteil, das den Herforder Schuhmachern untersagte, ihre „schuhe, stiefeln und pantoffeln“ auf den Lübbecker Märkten anzubieten. Ein solcher Gerichtsbeschluss wurde den Lübbecker Schuhmachern jedoch am 26. November 1636 verwehrt, weil es Beschwerden aus der Bürgerschaft gegeben hatte, die den einheimischen Schuhmachern vorwarfen, nicht genügend Schuhe anzubieten, und, wenn sie angeboten würden, dann lasse die Qualität zu wünschen übrig. Wegen „dieser betrübten Zeit“, so die Vertreter des Lübbecker Amtes vor Gericht, sei es zu solchen Mangelerscheinungen gekommen. Die Repressalien der jeweiligen Besatzungsmacht während der Zeit des Dreißigjähren Krieges wurden also verantwortlich gemacht. Die Lübbecker Schuhmacher verwiesen auf ihr Privileg, das „fremden“ Schuhmachern untersagte, ihre Ware auf den Lübbecker Märkten feilzubieten. Das Gerichtsurteil schreckte die Lübbecker Schuhmacher nicht ab. Um sich der lästigen Konkurrenz entledigen zu können, beschwerten sie sich bei ihrem Bürgermeister Statius Mencke. Zu Unrecht, wie die Herforder den Lübbeckern zu verstehen gaben, denn „auff den öffendtlichen freyen Jahr Marcktten“ müsse es auch der Konkurrenz erlaubt sein, ihre Waren anzubieten. Sonst brauchten sie, die Lübbecker, das Freifähnlein an den Markttagen erst gar nicht auszuhängen. Damit gaben die Herforder den Lübbeckern zu verstehen, wenn sie, die Lübbecker, freie Märkte abhielten, dann müssten diese dem Anspruch auch gerecht werden. Schließlich dienten solche Märkte „dem gemeinen besten“. Davon wollten die Lübbecker nun gar nichts wissen und beharrten auf ihrem Standpunkt. Deutlich gaben die Herforder den Lübbeckern zu verstehen, die christliche Nachbarschaft zu missachten.

In einem Schreiben vom 3. März 1637, gerichtet an Ritterschaft, Bürgermeister und Rat der Stadt Lübbecke, brachten „Olderleute Ambtmeister undt sambtliche Ambtsgenoßen des Schusterampts der Stadt Lübbecke“ ihre Sonderstellung im Markthandel in Erinnerung und betonten, dass sie das Privileg, keine fremden Schuhmacher zu dulden, immer seit Menschengedenken „sine ulla contradictione“, also widerspruchslos, besessen hätten.4

Die Lübbecker Schuhmacher stießen bei der Stadtverwaltung nicht unbedingt auf Gegenliebe. Unchristliches Verhalten wollte sich mancher Ratsherr von den Herfordern nicht vorwerfen lassen. Die Lübbecker Stadtverwaltung reagierte nach dem Urteil vom 26. November 1636 und öffnete den Herfordern im Oktober 1639 die städtischen Märkte. Die Lübbecker Schuhmacher gaben jedoch keine Ruhe und suchten die Unterstützung in der Bürgerschaft. Die Schützenmeister Mencke und Homborg versprachen Hilfe und wurden am 28. Februar 1642 im Rathaus im Namen der Bürgerschaft mit der Bitte vorstellig5, die Herforder für ein Jahr vom Handel auszuschließen, weil sie den Lübbecker Schuhmachern „das brot furm Munde wechnehmen“. Tatsache war, dass die Lübbecker einen Teil ihrer Ware nicht verkaufen konnten. Die Herforder boten offensichtlich eine bessere Qualität an.

Der Streit zwischen den Lübbecker und den Herforder Schuhmachern zog sich noch jahrelang mit wechselndem Erfolg hin. Am 6. Dezember 1660 kam es auf Druck der Regierung und der Stadtverwaltung zu einer Neureglung im Schuhhandel6, die bei den Lübbecker Schuhmachern auf wenig Verständnis stieß. Die Herforder erhielten ungehinderten Zutritt zu den vier Lübbecker Kram- und Viehmärkten, nämlich dem Markt „auf den Fasten“7, dem Kreuz- oder Himmelfahrtsmarkt, dem Markt zu Michaeli (29. September) und dem Andreasmarkt (30. November). Das Anbieten von Waren in den Straßen außerhalb der Märkte war untersagt. Die Herforder durften sich der Lübbecker Marktaufsicht nicht entziehen. Verfehlungen wurden an Ort und Stelle geahndet. Letzte Entscheidungsinstanz war der jeweilige Lübbecker Bürgermeister.8 Trotz regierungsamtlicher Anweisung, den Schuhmachern aus Herford die Lübbecker Märkte zu öffnen, kam der Streit nicht zur Ruhe. In einer Beschwerde vom 8. September 1712 beklagte sich das Lübbecker Schuhmacheramt bei der Stadtverwaltung über die Herforder Schuhmacher, die auf den Dörfern Hausierhandel betrieben.9 Die Existenz der Lübbecker Schuhmacher war bedroht, jedoch nicht nur durch die Herforder Konkurrenz. Schuhmacher hatten sich in den Dörfern niedergelassen und beschäftigten Lehrjungen und Gesellen, die in Lübbecke fehlten. „Sie [die Dorfschuhmacher] nehmen auch Jungens in die Lehre ohn unterscheid, nicht darauff achtende ob solche Echt oder recht gebohren.“ Die auswärtigen Schuhmacher hatten demnach unehelich geborene Jungen in die Lehre genommen, was nach den Regeln der städtischen Ämter untersagt war. Auch die Abordnung junger Männer zum Militärdienst hatte dem Nachwuchs geschadet.

Die Lübbecker Schuhmacher mussten sich schließlich den regierungsamtlichen Anweisungen fügen. Da es ihnen gestattet war, auf „ausländischen“ Märkten ihre Produkte anzubieten, mussten sie es hinnehmen, dass „ausländische“ Schuhmacher auch die Lübbecker Märkte benutzten, um ihre Ware feilzubieten.

Warum waren die Lübbecker Märkte so attraktiv für die Herforder Schuster? Der Anmarsch von Meister, Geselle und Lehrling zu Fuß mit einem Packen Schuhwerk samt Handwerkszeug auf dem Rücken war beschwerlich genug, wobei dem Lehrling und dem Gesellen der größere Teil der Last aufgebürdet wurde. Dass man von den Lübbecker Schustern alles andere als freundlich behandelt wurde, machte die Sache nicht einfacher. Warum nahm man die vielen Unannehmlichkeiten in Kauf?

Es gab in Lübbecke eine Käuferschicht, die auf gute Waren achtete und sofort bezahlte. Diese Käuferschicht war in gut situierten Bürgerhäusern und auf den Adelshöfen zu finden. Nicht nur die Besitzer selbst legten Wert auf gute, ihrem Stande angemessene Bekleidung und entsprechendes Schuhwerk. Auch das Gesinde sollte dem Stand seiner Herrschaft entsprechend gut gekleidet sein. Außerdem pflegten diejenigen Adelsfamilien, die auf ihren Landgütern wohnten, ihre Einkäufe auf den Lübbecker Märkten zu erledigen.

Lübbecke, 13. Juli 2016

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1 Friedrich-Wilhelm Hemann, Zur Entwicklung von Lübbecke im Mittelalter. In: Beiträge zur westfälischen Stadtgeschichte, Warendorf, 1992,S. 132 ff.
2 Helmut Hüffmann, 1200 Jahre Lübbecke, Lübbecke 1975, S. 62. Der ebd. angegebene 2. Termin wurde später zugesetzt. Lübbecke besaß ursprünglich keinen Marktplatz, sondern eine Marktstraße zwischen Kirche und Rathaus, geschützt durch die Umfassungsmauern zweier Burgmannshöfe. Standen Großmärkte an, dann waren Scharrn und Köttelbeke einbezogen. Die Köttelbeke, heute südlicher Teil der Bäckerstraße, war von einem Bachlauf durchzogen, an dem das Großvieh aufgereiht war. Über den Bachlauf wurden die Exkremente (Köttel) entsorgt.
3 Stadtarchiv Lübbecke (zit.:StadtAL), A 512, Bl. 44f.
4 Ebd., Bl. 67ff.
5 Ebd., Bl. 78´.
6 Ebd., Bl. 95 ff.
7 Dienstag nach Reminiscere, s. StadtAL, A 18, Bl. 182. A 512, Bl. 95´.
8 StadtAL, A 512, Bl. 96.
9 StadtAL, A 510, Bl. 20 ff.

Autor: Stadtchronist Helmut Hüffmann, Bildnachweis: Stadtarchiv Lübbecke 

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