Stadt Lübbecke

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Die Nacht des roten Hahns

Brandkatastrophe von Lübbecke jährt sich zum 250. Mal

Von Christel Droste

Lübbecke. In der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 2016 jährt sich ein Inferno, dessen Spuren in Lübbecke bis heute, 250 Jahre danach, noch sichtbar sind. Beim verheerenden Stadtbrand von 1766 fielen weite Teile der Lübbecker Altstadt in Schutt und Asche, und viele Lübbecker Familien waren buchstäblich über Nacht obdachlos. Der Schaden wurde seinerzeit vorsichtig auf 150.000 Thaler geschätzt, umgerechnet in heutige Kaufkraft rund 3 bis 4 Millionen Euro.

Im Schuppen eines Schusters an der östlichen Stadtmauer war in der Nacht von Freitag auf Samstag ein Brand ausgebrochen. Bedingt durch die enge Bauweise, die zum Teil noch mit Stroh und Holzschindeln eingedeckten Dächer und den starken Wind griffen die Flammen schon bald auf die Nachbarhäuser über. Es entwickelte sich ein Großbrand, der den Bereich bis hinunter zur Niedernstraße erfasste und sich schnell auf die Lange Straße und den Steinweg bis zur westlichen Stadtmauer ausdehnte. Bald standen 109 Gebäude, darunter 92 Wohnhäuser, in Flammen. Es dauerte noch den ganzen nächsten Tag, ehe die Flammen endgültig unter Kontrolle gebracht worden waren.

Der Lübbecker Pfarrer Carl Dietrich Hagedorn hielt am darauf folgenden Sonntag in seiner Predigt fest, die Gebäude seien „unter dem erbämlichsten Heulen und Wehklagen ihrer Besitzer in Schutt und Asche verwandelt worden.“ Weiter führte er aus: „Manche der hiesigen Einwohner, ja ganze Familien, welche die Güte Gottes reichlich gesegnet hatte, sehen sich seitdem in mitleidwürdige Umstände versetzt. Ich getraue mir zwar eben so wenig, als es mein Beruf erfordert, die dadurch verursachten Schäden genau zu bestimmen, diejenigen aber, welchen die Aufsicht über die bürgerlichen Angelegenheiten dieser Stadt empfohlen ist, meinen den Verlust eher zu verringern, als zu über treiben, wenn sie ihn auf 150.000 Thaler schätzen.

So viel kann man leicht erachten, daß das Unglück nothwendig desto größer sein müsse, da es in der Nacht und zwar im Winter, zu einer solchen Zeit ausgebrochen ist, darin sich jedermann mit allerlei zum Unterhalt und zur Bequemlichkeit dienlichen Mittel fast aufs ganze Jahr versorget hatte, zu einer Zeit, da die Verunglückten nicht wußten, wo sie wider Frost und Hunger, denen sie nunmehr ausgesetzt waren, Schutz und Sicherheit finden sollten: zu einer Zeit, sage ich, daß es schwer hielt, das den Flammen entrissene Vieh, dem sowohl als ihnen selbst die Nahrungsmittel verbrannt waren, irgendwo unterzubringen. Kurz, unsere ganze Stadt, die sonst ein sichtbarer Beweis der Güte, Geduld und Langmuth Gottes war, ist nunmehr ein Schauplatz seiner Gerechtigkeit geworden. (…)Hätte Gott der Wuth des fressenden Feuers nur noch einige wenige Stunden ihren Lauf gelassen, so würden wir in diesem seiner Ehre gewidmeten Hause nicht mehr versammelt, ja, so würde aus der ganzen Stadt ein Stein- und Aschehaufen geworden sein.

Wohin hätten denn aber so viele Verunglückte bei der rauhen Jahreszeit ihre Zuflucht nehmen sollen? Wie leicht hätte es nicht gemocht, daß mancher, da die meisten schon bei dem Ausbruche des Feuers in dem ersten festesten Schlafe lagen, von den Flammen im Bette ergriffen und verzehrt wäre? Wie leicht wäre es nicht auf den zum Theil engen Straßen möglich gewesen, daß unter dem Gedränge so vieler in der größten Verwirrung häufig zusammen gelaufenen Menschen wenigstens einer oder der andere von den auf beiden Seiten einstürzenden Häusern wäre erschlagen und unter dem Schutt begraben worden? Da nun aber alles dieses, wofür Gott ewig geliebet und gelobet sei, nicht geschehen ist, o – so mögen wir ja wohl mit jenem weisen Manne sagen: Du gewaltiger Herrscher richtest mit Gelindigkeit und regierst uns mit vielem Verschonen.“[1]

Die Lübbecker kannten die Gefahr, und sie waren vermeintlich vorbereitet. Bereits seit dem Mittelalter verfügte die Stadt über ein ausgefeiltes System der Brandbekämpfung. Vor dem Bergertor, im Bereich der späteren Fabrikgebäude der Firma Hucke Königsmühle, dem heutigen Parkplatz an der Bergertorstraße, staute man das Wasser der Ronceva zu einem großen Feuerlöschteich auf, ehe es über einen geregelten Zufluss in den östlichen Stadtgraben floss und die dortigen Mühlen antrieb.

Jeder Neubürger hatte bei seiner Bürgeraufnahme unter Eid zu schwören, sich zum Wohle der Stadt in das Gemeinwesen einzubringen und den Anordnungen der städtischen Obrigkeit Folge zu leisten. Dazu gehörte für die Vollbürger im Brandfalle ganz selbstverständlich auch der Einsatz in der Bürgerfeuerwehr. Um dafür gerüstet zu sein, mussten Neubürger bei der Bürgeraufnahme nicht nur ihren eigenen Ledereimer im Rathaus vorzeigen, sondern auch Bürgergeld bezahlen.

Ein Teil des Betrages wurde dafür verwendet, Gerätschaften zur Brandbekämpfung anzuschaffen. Regelmäßig fanden Übungen statt, bei denen genau geprobt wurde, wie im Brandfall zu verfahren war. Auch Kontrollen in den Häusern erfolgten: Stand immer ein mit Wasser gefüllter Eimer griffbereit neben der Feuerstelle? Wurden die Feuerstülpen abends über die Glut gesetzt, um einen unbeabsichtigten Funkenflug zu verhindern? Befanden sich auch wirklich keine brennbaren Gegenstände in der Nähe des Herdes?

Wie gefährlich ein Stadtbrand war, hatten die Lübbecker bereits mehrfach erleben müssen. Die Brandursachen waren vielfältig. So hatte beispielsweise im Jahre 1368 „Simon Graf und Edler Herr zur Lippe, die Stadt überfallen, und sie ganz hinweg gebrand“.[2] Im November 1647 war auf einem Burgmannshof ein Brand ausgebrochen, weil das Gesinde unachtsam mit der Feuerstelle umgegangen war. Im Oktober 1662 war es bei einer Hochzeitsfeier zu einem Hausbrand gekommen, dem auch Nachbarhäuser zum Opfer gefallen waren.

Die letzten Großbrände lagen 1766 auch noch nicht lange zurück. Besonders die Feuersbrunst im Oktober 1705, bei dem neben 105 weiteren Gebäuden auch das Rathaus vollständig zerstört wurde, und ein Großbrand im Jahre 1734, bei dem 56 Gebäude in Flammen standen, waren den Lübbeckern noch bedrohlich in Erinnerung.[3] Da jeder Brand eine Gefahr für die städtische Sicherheit und Ordnung bedeutete und der Friede des Zusammenlebens empfindlich zerrüttet wurde, sannen auch andernorts Städte schon früh auf feste Regeln für den Brandfall. So sollten unter anderem die durch einen Brand bedingten Folgekosten für die Stadt gesenkt werden. Effektivität war gefragt. Deshalb stellte man Feuerordnungen auf. Bis ins Detail wurde darin festgehalten, welche Vorschriften einzuhalten waren, um Brände tunlichst zu verhindern und wie die Bevölkerung sich im Gefahrenfall zu verhalten hatte.

Bereits 1751 war eine Feuerordnung für die Stadt Lübbecke erlassen worden. Darin heißt es gleich zu Beginn: „Sollen alle Feuer-Stellen dergestalt von Mauerwercke eingerichtet seyn, daß die geringste Gefahr auch bey der stärcksten Gluth, daher nicht zu besorgen, wie denn auch alle Camine wenigstens einen Fuß dicke, inwendig aber 18. Rheinische Zoll weit seyn sollen, damit der Schornsteinfeger selbige gehörig besteigen kann.“[4] Bereits bestehende Schornsteine oder offene Kamine mussten entsprechend umgebaut werden. Hielten sich die Bauherren nicht daran, konnte der Rat kurzerhand den gesamten Schornstein einreißen lassen. Die häufig noch vorhandenen Strohdächer mussten mit Ziegeln neu gedeckt werden. Offenes Feuer in Form von Kerzen, zum Beispiel beim abendlichen Gang in den Stall, war verboten. Stattdessen war die Benutzung von gesicherten Laternen Vorschrift.

In Lübbecke erfolgte, sofern der Brand nachts ausbrach, die Alarmierung der Bevölkerung durch den Nachtwächter. Die lauten Trompetentöne seines Signalhorns weckten auch den tiefsten Schläfer. Die Stadtmusikanten eilten auf den Turm der St.-Andreas-Kirche, um von dort aus Hornsignale zu geben. Der Küster läutete die Alarmglocke. Die Bürger hatten zunächst Laternen an die Fenster zu stellen, um die Straßen zu beleuchten. Dann rannten sie auf die Straßen und griffen zu den Bohlen, die an den Außenwänden der Häuser befestigten waren. Schleunigst stellten sie die Bretter auf den Straßen so auf, dass sie zu einer Art Wasserrinne verbunden werden konnten.

Waren alle Bohlen in Position gebracht, ließ sich am Staubecken ein Schütt öffnen und das Wasser floss, geleitet durch die Bohlen, Richtung Brandherd. Jeder wusste genau, was zu tun war. Einige spannten ihre Pferde vor auf Kufen befestigte Wasserbottiche, die an den öffentlichen Brunnen für den Notfall bereit standen. Die Pferde zogen die Bottiche dann zum Brandherd. Dort wurden die nach heutigem Verständnis einfachen städtischen Feuerspritzen mit Muskelkraft in Betrieb gesetzt. Andere holten Feuerleitern und Einreißhaken herbei. Wieder andere versuchten, Gegenstände aus dem brennenden Haus zu bergen und in Sicherheit zu bringen. Das gerettete Hab und Gut wurde dann von eigens dazu bestimmten Einwohnern bewacht, um Diebstähle zu verhindern. Dennoch geschah es immer wieder, dass Häuser, deren Bewohner zum Brandort geeilt waren, während der Abwesenheit ausgeraubt wurden.

Den Zimmerleuten, Maurern und Schornsteinfegern kam bei der Brandbekämpfung eine besondere Bedeutung zu, hatten sie doch schon beim Um- oder Neubau der Gebäude auf Einhaltung der baupolizeilichen Vorgaben zu achten. Ging dennoch ein Brand von einem Schornstein aus, mussten sie zudem, um Funkenflug zu wehren, „sogleich mit einer Stangen, Forcke, oder Haacken, die Haube vom Schornstein zerschlagen, und die Stücken im Schornsteine herunter, nicht aber denen Leuten auf die Köpfe fallen lassen“.[5] Dabei waren nicht nur die männlichen Einwohner zur Brandbekämpfung verpflichtet. Frauen, Kinder und das Gesinde hatten die Aufgabe, aus den Brunnen zusätzlich Wasser zu pumpen und damit die Wasserbottiche immer neu aufzufüllen.

Jeder Brand wurde seinerzeit als Strafe Gottes für vermeintlich sündhaftes Leben der Menschen interpretiert. Das entsprach dem, was die meist tief religiösen Menschen aus der Bibel kannten, mit Gottes Gericht erwarteten und was bis heute sprichwörtlich als Strafe für Verhältnisse wie in „Sodom und Gomorra“ bezeichnet wird. Vor diesem Hintergrund kommen die städtischen Feuerordnungen einerseits einem vorweggenommenen Sündenbekenntnis gleich. Man war sich der menschlichen Schwächen und Fehler bewusst, versuchte aber andererseits im Bewusstsein der Aufklärung, selbst aktiv zur Verbesserung der eigenen Lebensumstände beizutragen.

Wie groß die vom Feuer ausgehenden Gefahren noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren, lässt sich auch daran ablesen, dass 1716 und 1719 in Preußen Edikte erlassen wurden, die den Umgang mit Feuer und Licht betrafen. Bald darauf wurden Feuersozietätskassen eingerichtet. Damit waren die Kommunen in die Vermittlung von Feuerversicherungen eingebunden.

In Lübbecke versah Mitte des 18. Jahrhunderts Henrich Hermann Niemeyer den Dienst als Nachtwächter. Mehrfach hatte er bereits Visionen von großen Brandkatastrophen in der Stadt gehabt. 1766 spitzte sich die Situation zu, hatte sich doch bereits im Juni des Jahres in Gehlenbeck gezeigt, wie verheerend ein Großbrand wüten konnte. Dort waren bei einem Schadensfeuer nicht nur die Kirche, das Pfarr- und das Küsterhaus sowie die Schule, sondern zudem über 100 weitere Gebäude ein Raub der Flammen geworden.[6] Der Lübbecker Bürgermeister Sagittarius hatte daraufhin das Thema der Feuerordnungen im Rat erörtern lassen. Zudem fanden vermehrt Kontrollen in den Häusern statt.

Wer heute mit aufmerksamem Blick durch die Lange Straße geht, entdeckt noch an drei Gebäuden einen versteckten Hinweis auf die Brandnacht von 1766. Die Inschriften an den nördlichen Giebeln der Häuser Lange Straße 23 (derzeit „Edel & Steine“), 25 (derzeit „coolman fashion store“) und 26 (derzeit „Fielmann“) erzählen davon, dass der Neubau jeweils im Jahre 1767 erfolgte – also ein Jahr, nachdem die Vorgängerbauten dem Stadtbrand zum Opfer gefallen waren.


[1] Carl Dietrich Hagedorn. Predigt nach dem Stadtbrand vom 12./13. Dezember 1766. StadtAL Präsenz, E/Hage.
[2] StadtAL A 889, Bl. 102.
[3] Anton Gottfried Schlichthaber. Mindische Kirchengeschichte. Vierter Theil. Minden 1754. Reprint H. Th. Wenner, Osnabrück, 1979, Band 2, S. 243 ff.
[4] StadtAL, Drucksachensammlung, Abtl. 9.
[5] StadtAL, Drucksachensammlung, Abtl. 9.
[6] Fabis, Werner. Gehlenbeck. Ein Dorf im Spiegel der Geschichte. Heimatverein Gehlenbeck e. V. (Hg.). 2007. S. 370 ff.

Autor: Christel Droste, Stadtarchiv Lübbecke 

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