Erste katholische Messfeier nach der Reformation in Lübbecke vor 175 Jahren
Von Christel Droste
Mit der Aufforderung „Ite, missa est!“, also „Gehet hin, ihr seid gesandt“ oder wörtlich übersetzt „Geht, das ist die Entlassung!“ wurden katholische Gläubige seit dem Ende des 4. Jahrhunderts aus Gottesdiensten entlassen, in denen Kommunion gefeiert wurde. Abgeleitet aus diesem Satz entwickelte sich der Ausdruck „Messe“ für derartige Hauptgottesdienste. Die Gläubigen antworteten dem Zelebranten jeweils mit „Deo gratias!“, also mit „Dank sei Gott!“.[1]
Ende des 4. Jahrhunderts war im Lübbecker Land allerdings noch kein Versuch einer Missionierung erfolgt. Erst der fränkische Kaiser Karl d. Gr. strebte nicht nur die Ausdehnung seines Reiches in das Gebiet der sächsischen Stämme, sondern auch die Verbreitung des Christentums an. Karl scheute in seinem Missionseifer auch vor Deportationen und Waffengewalt nicht zurück. Ende des 8. Jahrhunderts erließ er mit der „Capitulatio de partibus Saxoniae“ einen Gesetzestext, in dem auch die Zwangschristianisierung festgeschrieben wurde. Darin heißt es unter anderem, dass jedem, der sich der Taufe widersetze, die Todesstrafe drohe. Die erbitterten Kämpfe der Sachsen gegen die eindringenden Franken dauerten etwa 30 Jahre. Dann setzte sich die Christianisierung des Lübbecker Landes durch. Sie führte dazu, dass der Ort Lübbecke um 800 zunächst Sitz eines Urkirchspiels und später auch eines Archidiakonats wurde. Dazu gehörten neben dem Ort Lübbecke selbst auch die Kirchspiele Dielingen, Wehdem, Levern, Rahden, Alswede, Blasheim, Gehlenbeck, Schnathorst, Hüllhorst, Bergkirchen, Volmerdingsen, Holzhausen, Börninghausen, Oldendorf, Lintorf und Barkhausen. Ein reiches religiöses Leben setzte ein. Es verstärkte sich durch die Gründung des Zisterzienserinnen-Klosters in Levern im Jahre 1227 und die Verlegung des St.-Andreas-Stiftes nach Lübbecke im Jahre 1295. Lübbecke war bereits im Jahre 1279 vom Mindener Bischof Volquin von Schwalenberg zur Stadt erhoben worden und entwickelte sich zu einem blühenden Gemeinwesen. Aber auch an der Stadt Lübbecke gingen in den folgenden Jahrhunderten die zunehmenden Missstände im kirchlichen Leben nicht vorbei. Dennoch hielt sich das katholische Bekenntnis hier noch lange, obwohl die Stadt Minden bereits im Jahre 1530 eine evangelische Kirchenordnung erlassen hatte.
Erst Anfang der 1550er Jahre dürfte auch in Lübbecke die Mehrheit des Stadtrates und im Folgenden auch der Bürgerschaft den Bekenntniswechsel offiziell vollzogen haben. Auch die Mehrzahl der Kanoniker des St.-Andreas-Stiftes bekannte sich fortan zum Protestantismus. Da auch die sich bis ins 17. Jahrhundert reichende Gegenreformation letztlich erfolglos blieb, mussten katholische Gläubige seitdem Messfeiern in Lübbecke entbehren. So war auch die Spendung der sieben Sakramente, bestehend aus Taufe, Firmung, kirchlicher Eheschließung, Beichte, Krankensalbung, Priesterweihe und natürlich der Eucharistie, das heißt Feier der Kommunion, in der Stadt selbst nicht mehr gewährleistet. Hier lebende Katholiken mussten zum Beispiel den Weg nach Minden oder Herford aufnehmen, um an Messfeiern teilnehmen zu können. Die Teilnahme an katholischen Gottesdiensten war ansonsten nur auf den Rittergütern Hollwinkel und Crollage, später auch im Schloss Hüffe möglich. Allerdings war der Besuch der dortigen Gottesdienste offiziell nur Familienmitgliedern der jeweils dort Wohnenden gestattet. Ende der 1830er Jahre befand sich Schloss Hüffe im Besitz der Familie von Friedrich Conrad Freiherr von Vely-Jungkenn. Dieser setzte sich sehr für die Einrichtung einer katholischen Mission in Lübbecke ein. Da die wenigen Katholiken in Kreise und Stadt Lübbecke nicht einmal über die nötigen finanziellen Mittel verfügten, um einen Gottesdienstraum auszustatten, ergingen Bittgesuche zunächst an die katholischen Gemeinden im Münsterland, später auch an verschiedene andere Dekanate und ergaben eine rege Resonanz.[2]
1832 war Lübbecke zur Kreisstadt geworden und der Ruf nach der geistlichen Versorgung der katholischen Bevölkerung nahm zu. Gemessen an der Gesamtzahl der Einwohner in der Kernstadt blieb die Zahl der Katholiken dennoch weiterhin gering. Von den insgesamt 2.750 Einwohnern[3] der heutigen Lübbecker Kernstadt waren im Jahre 1843 immerhin wieder knapp 100 Menschen katholisch[4]. Die Stadtchronik hält zum Jahre 1843 die großen Veränderungen für das Leben der Katholiken in Lübbecke fest: „Die schon früher von den Katholiken hier und in der Umgegend erbetene Einrichtung einer Seelsorge wurde in diesem Jahre gewährt. Am 18 [.] Februar wurde vom Capitular Vicariate in Paderborn ein katholischer Geistlicher für die Stadt und Umgegend bewilligt und später der Mißionarius Aufenanger ernannt und hierher gesandt.“[5] Johann Ludwig Aufenanger hatte 1810 in Natzungen, heute ein Stadtteil von Borgentreich im Kreis Höxter, das Licht der Welt erblickt. Nach seinem Abitur studierte er in Paderborn Theologie und hatte dort anschließend auch die Priesterweihe erhalten. Seinen Dienst in Lübbecke trat er am 17. März 1842 an.[6] Die katholische Gemeinde Lübbecke war also zunächst als Missionsstation eingerichtet worden und noch nicht als selbstständige Pfarrei. Die Königliche Regierung zu Minden ließ der Öffentlichkeit denn auch durch das Amtsblatt bekannt geben: „Da die Katholiken in der Stadt Lübbecke und in der Umgegend von den nächst gelegenen katholischen Pfarrkirchen zu weit entfernt wohnen, als daß sie dort dem Gottesdienste beiwohnen und ihre sonstigen kirchlichen Bedürfniße von den bei jenen Pfarrkirchen angestellten Geistlichen befriedigt werden könnten, so hat die bischöfliche Behörde zu Paderborn mit Genehmigung des Staates für jene Katholiken, bis dahin, daß die Errichtung eines katholischen Pfarrsystems möglich wird, einen Mißionarius angestellt, der in der Stadt Lübbecke wohnen, daselbst den Gottesdienst abhalten und man dort auch die Hauptseelsorge innerhalb des ihm angewiesenen Bezirks wahrnehmen soll. Der gedachte Mißionsbezirk erstreckt sich über den ganzen landräthlichen Kreis Lübbecke und die evangelischen Pfarrbezirke Quernheim und Rödinghausen. Alle innerhalb dieses Bezirks wohnenden Katholiken haben einzig den Mißionarius zu Lübbecke als ihren Seelsorger anzuerkennen und somit alle bei ihnen vorkommenden pfarramtliche Handlungen von demselben verrichten zu lassen.“[7]
Die Katholiken hatten bereits 1841 einen großen Saal auf dem Cornberg’schen Burgmannshof (heute überbaut mit dem Parkplatz Gänsemarkt) angemietet und dank der Spenden „zu einem Betsaale gemacht. Voll eingerichtet mit einem Kosten-Aufwande von 400 Taler, welche durch freiwillige Beiträge von außen zusammengebracht waren. Sie erhielten einen silbernen Kelch aus der Kapuciner-Kirche zu Brakel von königlicher Regierung in Minden geschenkt und außerdem noch an – auswärts eingesammelten – freiwilligen Beiträgen 400 Thaler als Beihülfe zu künftiger Erbauung einer neuen Kirche.
Der Amtsantritt des Mißionarius Aufenanger, die Einrichtung des Betsaals und der erste katholische Gottesdienst fand am Palm-Sonntage, den 20ten März, statt. Nach dem Gottesdienste vereinigten sich einige evangelische Geistliche und mehrere Einwohner aus der Stadt und Umgegend mit ihren katholischen Mitbürgern – gegen 60 Personen – zu einem freundschaftlichen Mahle, dem auch der Consistorial-Rath Zieren aus Minden und der Superintendent Müller aus Blasheim beiwohnten, und wobei manche hübsche feierliche Worte in confeßioneller Beziehung als Trinksprüche vorgetragen und mit allgemeinen Beifalle aufgenommen wurden. Der katholische Geistliche bekommt den größten Theil seiner Besoldung aus der Ferdiandschen Mißions-Stiftungs-Kasse zu Paderborn. Den kleineren Theil , sowie die übrigen Kultus-Kosten, bringen die Katholiken durch freiwillige Beiträge auf.“[8]
Bereits kurz nach seinem Dienstantritt in Lübbecke erteilte Aufenanger Schul- und Kommunionunterricht. Für 1843 belegt das Einwohnerverzeichnis, dass inzwischen zwei Geschwister Aufenangers, nämlich sein 12jähriger Bruder Friedrich und seine 20jährige Schwester Mathilde, ebenfalls nach Lübbecke gezogen waren. Die drei Geschwister lebten allerdings nicht auf dem ehemaligen Cornberg’schen Burgmannshof, sondern in der Bäckerstraße, im Bereich der späteren Lohgerberei Frese. Bemerkenswert ist, dass in dem Gebäudekomplex nicht nur die Geschwister Aufenanger lebten, sondern noch vier ledige junge Männer jüdischen Glaubens sowie die aus neun Personen bestehende Familie des jüdischen Kaufmanns Bernhard Maass. Hinzu kamen noch eine jüdische und eine evangelische Magd.[9] Das alltägliche Miteinander war – unabhängig von der unterschiedlichen Religionszugehörigkeit – für die Beteiligten offenbar kein Problem.
Nachdem Aufenanger die katholischen Kinder zunächst alleine unterrichtet hatte und einige von ihnen bereits 1843 und 1844 Kommunion feiern konnten, erhielt er seit 1844 Unterstützung durch seinen Bruder Joseph, der Lehrer war. Der aufstrebenden Gemeinde gelang es 1845 sogar, zwei bebaute Grundstücke an der heutigen Niedertorstraße/Ecke Niederwall zu erwerben. Das Gebäude auf dem Eckgrundstück konnte schon im selben Jahr zum Schul- und Pfarrhaus umgebaut werden, in das die nunmehr vier Geschwister Aufenanger auch einzogen. Das nach Süden anschließende Gebäude wurde abgetragen.[10] Die positive Entwicklung im Gemeindeleben ließ die Hoffnung auf ein eigenes Gotteshaus immer stärker werden. Das hätte die hiesige katholische Gemeinde aus eigenen Mitteln nie sicherstellen können. Daher wurden im Münsterland erneut Sammlungen zu Gunsten der katholischen Kirchengemeinde Lübbecke durchgeführt. Das Ergebnis war beeindruckend und so konnte schon kurz darauf mit dem Bau der katholischen Kirche begonnen werden. Bereits ein Jahr später hielt die Stadtchronik fest: „In diesem Jahre wurde der Ausbau der katholischen Kirche vollendet.“[11] Missionarius Aufenanger konnte am 31. Mai 1846, dem Pfingstsonntag, den ersten Gottesdienst in der Kirche halten.
Die kurze Bauphase der katholischen Kirche ist umso erstaunlicher, da die allgemeine wirtschaftliche Situation seinerzeit sehr schlecht war. Es hatte mehrere Missernten gegeben, in deren Folge die Menschen auch im landwirtschaftlich geprägten Lübbecker Land hungerten. Die Industrialisierung hatte Lübbecke noch nicht erreicht. Die Stadt Lübbecke sah sich 1847 gezwungen, die von der wirtschaftlichen Not besonders hart getroffenen Familien zu unterstützen. Allein 86.000 Pfund Brot wurden zu ermäßigtem Preis verkauft, 7.000 Pfund Brot sogar verschenkt. Das war jedoch noch immer nicht ausreichend. So wurden Spenden genutzt, um mehrere Monate lang an verschiedenen Ausgabeorten wöchentlich 400 Essensrationen kostenlos zu verteilen. Besonders großzügig zeigte sich die in der Langen Straße ansässige Familie des Kaufmanns Rudolf Barre, die allein jeweils die Kosten für 100 Rationen wöchentlich übernahm.[12] Trotz aller Bemühungen hoffte eine große Anzahl der Betroffenen im Lübbecker Umland auf bessere Lebensumstände im fernen Amerika und wagte die gefährliche Auswanderung. Diese geschah oft heimlich, um dem Militärdienst zu entgehen und sich zugleich die Chance auf eine Rückkehr in die Heimat zu erhalten, falls der erhoffte wirtschaftliche Erfolg im „gelobten Land“ ausbleiben sollte.
Auch in der katholischen Gemeinde gab es tiefgreifende Veränderungen, denn schon kurz nach Vollendung des Kirchbaus verließen Johannes Ludwig Aufenanger, seine Schwester und der jüngste Bruder Lübbecke bereits wieder. Aufenanger war als Domkaplan nach Minden versetzt worden. Nur Joseph Aufenanger blieb als Lehrer in Lübbecke. Er erlebte noch, dass Franz Anton Schelle 1846 die Nachfolge in Lübbecke antrat, aber bereits Anfang 1847 durch den Missionarius Friedrich August Koch abgelöst wurde.
Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Weihe der St. Johannes Baptist, also der Johannes dem Täufer geweihten Kirche erst für den 27. Mai 1847 geplant war. Sie wurde durch den Paderborner Bischof Franz Drepper vollzogen. Es lässt sich leicht vorstellen, mit welcher Spannung sein Aufenthalt in Lübbecke erwartet wurde, war es doch seit der Reformation der erste Besuch eines Bischofs in der Stadt. Die Chronik der katholischen Gemeinde hielt fest, dass man dem Bischof bis ins heutige Bad Holzhausen entgegen fuhr und ihn dann vierspännig nach Lübbecke brachte. „Überall standen die Leute Spalier. Einige katholische Bürger hatten sich vom Magistrat die Erlaubnis geholt, Böller abzuschießen, und als dann die Kutsche in Blasheim gesichtet wurde, knallte der erste Schuss. Das war das Zeichen, die Glocken zu läuten.“[13] Einen derartigen Empfang hatten Bischof Drepper und die zahlreichen eigens angereisten auswärtigen Geistlichen nicht erwartet. Sogar Bürgermeister Strubberg, die Stadträte und Landrat von der Horst nahmen an den Feierlichkeiten und dem Festbankett teil. Superintendent Maßmann aus Schnathorst überbrachte die Grüße der umliegenden evangelischen Gemeinden.
Die Weihe der Kirche war das wichtigste Ereignis in der Dienstzeit des Missionarius Friedrich August Koch. Ihm folgten 1850 Heinrich Josef Stratmann und 1854 Friedrich Klemens Réen. Die Geldnot der Lübbecker Gemeinde hielt trotz einer wachsenden Zahl an Gemeindegliedern zunächst weiter an, so dass auch Réen zu Kollektenreisen gezwungen war, um den Unterhalt der Kirche sicherzustellen. Aber während seines Dienstes gab es auch einen Grund zur Freude für die Gemeinde, denn am 1. Oktober 1858 erhob der Paderborner Bischof die Mission in Lübbecke zur Pfarrei.
Heute sind die katholischen Kirchengemeinden Espelkamp, Lübbecke, Preußisch Oldendorf und Rahden zum Pastoralverbund Lübbecker Land zusammengeschlossen.
[1] Seit der vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) beschlossenen Liturgiereform in der katholischen Kirche werden Messfeiern üblicher Weise in der jeweiligen Muttersprache gefeiert.
[2] Wessels, Lothar. Die katholische Kirche zu Lübbecke in Westfalen. Katholische Kirchengemeinde Lübbecke (Hg.). Uhle & Kleimann, Lübbecke, 2. erw. Auflage 2007, S. 46 f.
[3] Reekers, Stephanie und Schulz, Johanna. Die Bevölkerung in den Gemeinden Westfalens 1818-1950. Ardey Verlag Dortmund 1952, S. 91.
[4] Einwohnerliste 1843, verglichen mit den Angaben aus der Einwohnerliste 1846 und Stadtarchiv Lübbecke (künftig: StadtAL) C I-12,3 Bll. 2ff.
[5] StadtAL Stadtchronik 19. Jahrhundert, S. 207.
[6] Wessels, Lothar. Die katholische Kirche zu Lübbecke in Westfalen. Katholische Kirchengemeinde Lübbecke (Hg.), Lübbecke 1992, S. 73.
[7] Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Minden, Stück 21, 27.05.1842, Nr. 316.
[8] StadtAL Stadtchronik 19. Jahrhundert, Bl. 207 ff.
[9] StadtAL B 317 a.
[10] Um 1900 wurde an der Ecke Niedertorstraße/Niederwall ein neues Pfarrhaus errichtet, das 1975 abgerissen wurde.
[11] StadtAL Stadtchronik 19. Jahrhundert, S. 278.
[12] StadtAL Stadtchronik 19. Jahrhundert, S. 292 f.
[13] Wessels, Lothar. Die katholische Kirche zu Lübbecke in Westfalen. Katholische Kirchengemeinde Lübbecke (Hg.). Uhle & Kleimann, Lübbecke, 2. erw. Auflage 2007, S. 49.