Aus dem Lübbecker Stadtgericht: Beleidigungen und Handgreiflichkeiten unter Bürgern
Am 8. Juni 1637 stand am Lübbecker Stadtgericht eine Beleidigungsklage auf der Tagesordnung. Herbert Besickloh hatte Menß.[1] Becker verklagt. Es ging um eine Geldforderung. Darüber war es in Beckers Haus zu Handgreiflichkeiten gekommen. Becker hatte seinen Kontrahenten einen „daumen dreyer und suppenfreßer gescholten“. Diese Beleidigung wollte Besickloh nicht auf sich sitzen lassen, „weiln er ein redtlich Kerl“ sei, wie er vor Gericht aussagte. Becker wollte selbst die beleidigenden Worte nicht gebraucht haben, räumte aber ein, dass seine Frau sich so geäußert haben könnte. Als Besickloh ihn einen „schelm“ genannt habe, so Becker, sei es zu Handgreiflichkeiten gekommen, wobei er zum Spieß gegriffen habe, denn in seinem eigenen Hause lasse er sich nicht beleidigen. Besickloh hatte jedoch den Spieß an sich reißen können, so dass das Schlimmste verhütet wurde. Auch Beckers Frau hatte sich eingemischt und den Kläger einen „schelm“ genannt. Jemand einen „Schelm“ zu nennen, war eine der übelsten Beleidigungen jener Zeit. Der Angegriffene war damit auf die Stufe eines notorischen Lügners und Betrügers gestellt. „Er lügt wie ein schelm“ heißt es an anderer Stelle..[2]
Das Gericht konnte bei den widersprüchlichen Aussagen keinen Schuldigen ausmachen und gab den Kontrahenten 14 Tage Bedenkzeit. Die beiden Hitzköpfe hielten es dann doch für besser, keinen neuen Termin wahrzunehmen, sondern sich zu einigen. Anzunehmen ist, dass beide außerhalb des Protokolls auf die unangenehmen gerichtlichen Folgen einer Beleidigung hingewiesen wurden. Unnötige Geldstrafen wollte sich keiner einhandeln.
Wenn eine Klärung der Schuldfrage nicht möglich war, blieb es bei Ermahnungen. So auch am 14. November 1644. Der Ort des zu verhandelnden Geschehens war eine Tauffeier im Hause Bölling. Dort waren die Kläger Hinrich Schwarte und Hans Eiche mit dem Paten Hans Dolck in Streit geraten. Schwarte fühlte sich von Dolck beleidigt. Die Worte „Mindene[r] Esel“ waren angeblich wiederholt gefallen. Der Streit eskalierte, nachdem Dolck die Gesellschaft verlassen hatte und in sein Haus zurückgelaufen war, um mit der spießforke in der Hand zurückzukommen. Hinrich Schwarte und Hans Eiche wurden angegriffen. Beide, Schwarte und Eiche, erlitten Stichverletzungen. Da sie sich schuldlos angegriffen fühlten, erwarteten sie vom Gericht eine Verurteilung des Täters.
Dolck präsentierte dem Gericht eine völlig andere Version des Tatherganges. Eine Beleidigung unter Verwendung des Schimpfwortes „Esel“ wies er von sich. Er habe sich, so Dolck, mit Jürgen Wessling unterhalten. Dieser sei mit seiner Frau in Streit geraten und habe sie geschlagen, was Dolck empörte. Dolck hatte sich seiner Aussage nach dazu mit folgenden Worten geäußert: „Ey du Schwerharder.[3] was thusten dar?“ Ein Bruder von Schwarte habe sich eingemischt und ihn als „Schwein“ beschimpft. Die Kläger, Schwarte und Eiche, hätten sich ebenfalls eingemischt, ihn überfallen und auch mechtig geschlagen, wobei Dolck nach Zeugenaussage im Gesicht verletzt wurde. Er sei in sein Haus geflüchtet ,so Dolck, wobei er verfolgt und als „Hexenmeister“ beschimpft worden sei. Zu Recht, ex justo dolore, habe er sich wegen der erlittenen Angriffe verteidigen müssen. Dabei habe der eine oder andere etwas abgekriegt. Mit Gewalt und Schelten seien die Kläger über ihn hergefallen. Dolck sah sich als das eigentliche Opfer. Die Verwendung einer spießforke wurde von ihm nicht erwähnt. Für beide Versionen, die von Dolck sowie die von Schwarte und Eiche, fanden sich mehrere Zeugen, die die jeweiligen Aussagen bekräftigten. Das Gericht sah sich außerstande, einen Täter auszumachen, da offensichtlich freundschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen die Zeugen bewogen hatten, dem jeweils Beschuldigten zu helfen und seine Version zu bestätigen. Das Gericht sah von einer Bestrafung ab. Ein Schuldiger war bei dieser streitbaren Gesellschaft nicht auszumachen gewesen. Das Gericht beließ es bei folgender Ermahnung: „Es ist allen theilen bey Poen [Strafe]20 th [Taler] gebotten handt und mundt zu halten und sich an ein ander nicht zu vergreiffen.“ Eine Schuldzuweisung des Gerichts hätte nur neuen Streit provoziert. Derartige Streitereien waren nicht außergewöhnlich. Der tatsächliche Anlass kam vor Gericht gewöhnlich nicht zur Sprache. Reichlicher Alkoholkonsum sorgte dafür, dass Emotionen in Aggressionen umschlugen. Wüste Beschimpfungen waren die ständige Begleitung.
Das Jahr 1645 nahm zur allgemeinen Bestürzung der Bürgerschaft ein tragisches Ende. Am 31. Dezember 1645, „am heiligen Nien Jahrs abent“, kam es zur Abendstunde gegen 9 Uhr zu einem tragischen Unfall. Nach Aussage des amtlichen Protokolls war es zur Abendstunde zu einem Streit gekommen, der tödlich endete. Im Hause Richter in der Nähe des Rathauses hatte sich eine trinkfreudige Gesellschaft eingefunden. Unter den Gästen befand sich auch Johann Caspar Foltermann, Sohn des Kämmerers Melchior Foltermann. Es wurde eifrig gezecht. Dabei kam es zu abstoßenden Szenen. Ein Wort gab das anderen. Schließlich entstand ein handfester Streit zwischen Foltermann und Benedict Schwarze, der in eine Schlägerei ausartete. Schwarze zog das Messer und stach auf Foltermann ein. Der Angegriffene verblutete und verstarb auf der Stelle. Plötzlich wurde dem Täter klar, was er angerichtet hatte, und floh. Ein Feldscher wurde hinzugezogen. Er stellte in Gegenwart von Zeugen fest, dass der Tote „einen stich mit dem Messer oben dem Nabel den anderen stich recht ufs Hertz gehabt.“ Inzwischen hatten sich einige der Männer auf den Weg gemacht, um den Täter ausfindig zu machen. Es war schwer, in den winterlich verschneiten Straßen und Gassen den Flüchtigen zu stellen. Nur eins ließ sich später feststellen. Dem Täter war es gelungen, in der Nähe des Ostertores bei „Wulffens Mühle“ die Mauer zu überwinden, den Stadtgraben zu durchqueren und über den Palisadenzaun zu klettern. Seine Spur verlor sich im Dunkel der Nacht. Dem stadtbekannten Opfer widmet das Protokoll die mitfühlenden Worte:“Godt Wolle der armen Seele des erstochenen gnedigh undt Barmhertzig Zur ewigen freide sein.“ Der Fall wurde gerichtlich nicht weiter verfolgt.
Am 23. Oktober 1651 war ein Fall von Selbstjustiz Gegenstand der Klage. Jacob Homborg hatte die Frau des Heinrich Meyer verklagt, weil diese den Sohn des Klägers „bezüchtiget“ hatte. Sie hatte ihn erwischt, wie er dabei war, Mist.[4] aus ihrem „geist garten“, dem Garten am Hl.-Geist-Hospital vor dem Ostertor, zu stehlen. Kurzerhand hielt sie den Dieb fest und verabreichte ihm eine Tracht Prügel. Zeuge der Selbstjustiz war ihr Mann. Daraufhin erhob der Vater des Jungen Klage vor dem Stadtgericht, das diese Art von Selbstjustiz zurückwies. Beide, Heinrich Meyer und seine Frau, wurden für schuldig befunden. Sie hatte mit Duldung ihres Mannes in Selbstjustiz gehandelt. Er hatte die Züchtigung zugelassen, statt den Diebstahl dem Gericht anzuzeigen. Wie das Gericht feststellte, lag das Recht, eine Züchtigung anzuordnen, nur beim Stadtgericht. Obwohl beide Parteien für schuldig erklärt wurden, sah das Gericht von einer Bestrafung ab.
Lübbecke , 7. Dezember 2017
Autor: Stadtchronist Helmut Hüffmann.
Illustration vom Verfasser nach einem Motiv von Ludwig Richter.
[1] Menzel, Diminutiv, abgleitet von Hermann.