Bei der Einrichtung der Landkreise in der 1816 geschaffenen preußischen Provinz Westfalen wurde ein völlig neues Verwaltungsprinzip verfolgt, das sich nach der Bevölkerungszahl und dem zu erwartenden Steueraufkommen richtete. Auch Volksnähe war erwünscht. Das hieß für die Bevölkerung, die Kreisstadt sollte an einem Tag erreichbar sein, vorausgesetzt man war gut zu Fuß oder besaß Pferd und Wagen, um an einem Tag den Hin- und Rückweg bewerkstelligen zu können. Die Einwohnerzahl sollte nicht mehr als 36.000 und nicht weniger als 20.000 Personen betragen. Man wollte so ein wirtschaftlich ausgewogenes Nebeneinander der Kreise erreichen. An der Nordgrenze der Provinz Westfalen in Abgrenzung zum Königreich Hannover entstand der Kreis Rahden. Grobe Abgrenzung nach Süden war das Wiehengebirge. Wie sich bald herausstellte, war das gewählte Verfahren mit Mängeln behaftet. Die Kreiseinteilung entsprach nicht den gewachsenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Eine Neugliederung wurde bereits 1820 ins Auge gefasst.
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In der regierungsamtlichen Bekanntmachung zur Kreiseinteilung wird Rahden neben Großendorf und Kleinendorf, Varl, Ströhen und Wehe lediglich als Ortschaft erwähnt. Die landrätlichen Aufgaben waren anfangs überschaubar. Das änderte sich nach der Kreisordnung vom 13. Juli 1827. Straßen- und Wegebau kamen ebenso hinzu wie Bodenmelioration und Gesundheitswesen. Der eigentliche Verwaltungssitz war nicht Rahden, sondern Benkhausen, Wohnsitz des Landrates Georg von dem Bussche-Münch.
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Lübbecke war am 1. Januar 1832 Kreisstadt geworden statt des Dorfes Rahden. Die Kreise Rahden und Bünde waren aufgelöst. Der größere Teil vom Kreis Bünde war dem Kreis Herford, der kleinere dem Kreis Lübbecke zugeschlagen worden. Am 15. November 1832 übermittelte Landrat von dem Bussche-Münch der Stadtverwaltung Lübbecke einen Schriftsatz für den öffentlichen Aushang und Ausruf. Darin hieß es, in Lübbecke sei eine Kreisstube eingerichtet worden, und zwar im Höpkerschen Haus an der Langen Straße. Der Ausruf erfolgte gewöhnlich in den Gottesdiensten der Gemeinden im Kreis. Die Sprechzeiten des Landrates waren dienstags und freitags von 10 bis 12 Uhr in der Kreisstube in Lübbecke. Dies entsprach nicht den Vorgaben der Regierung. Die Sprechstunden sollten während der Markttage abgehalten werde.
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Zwei Grenzsteine an der Nordgrenze des Kreises in Preußisch Ströhen. Das H verweist auf das Königreich Hannover. Erst 1845 war die Staats-, Kreis- und Gemeindegrenze zwischen Preußen und Hannover in Ergänzung des Staatsvertrages vom 25. November 1837 endgültig festgelegt.
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Georg von dem Bussche-Münch war nach seiner Amtszeit als Rahdener Landrat für wenige Jahre Landrat des Kreises Lübbecke. Tatsächlicher Sitz der Verwaltung war, wie schon beim Kreis Rahden, Gut Benkhausen. Bei den Landräten handelt es sich im 19. Jahrhundert ausnahmslos um Personen aus dem Landadel, der schon seit Jahrhunderten ansässig war. Diese Landräte waren an einer Verwaltungskarriere im heutigen Sinne wenig interessiert. Sie hätten genau so gut von den Erträgen ihrer Güter leben können. Aus der Ministerialität des Mittelalters hervorgegangen, fühlten sie sich ihrem Landesherrn verpflichtet.
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Schematische Darstellung des Kreises Lübbecke mit den Ämtern Rahden, Dielingen, Levern, Alswede, Gehlenbeck, Oldendorf, Hüllhorst und dem Stadtbezirk Lübbecke.
[Bild nachträglich entfernt]
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Auf dem Foto ist das Höpkersche Haus (entspricht in der Lage der Filiale Rossmann) von einem Baum verdeckt zu sehen. Die Zufahrt zur Stallung für Pferd und Wagen war über die Kreuzstraße (heute Gerichtsstraße) erreichbar. Sprechstunden waren zweimal wöchentlich, am Mittwoch und am Sonnabend, was nicht hieß, dass der Landrat anwesend war. Gewöhnlich erschien sein Sekretär. Nach heutigen Vorstellungen und Begriffen übte der Landrat seine Verwaltungstätigkeit nebenberuflich aus. Wie von der Regierung gewünscht, hatten sich die Sprechstunden den städtischen Markttagen angepasst.
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Am 27. November 1838 trat Adolf von der Horst als Landrat in den Verwaltungsdienst des Kreises Lübbecke, vorerst kommissarisch. Dieser Landrat erreichte über eine königliche Kabinettsorder vom 30. Mai 1840, dass die Kreisstube im Höpkerschen Haus geschlossen wurde, um nach der Ellerburg verlegt zu werden. Das wollte die Lübbecker Stadtverwaltung auf die Dauer nicht hinnehmen und legte Protest ein - ohne Erfolg. Erst eine Kabinettsorder vom 4. Dezember 1861 verlangte, dass das Kreisbüro in die Kreisstadt zu verlegen sei. Die eigentliche Arbeit war im Kreisbüro zu erledigen. Ausnahmen gab es nur mit ministerieller Genehmigung, und die galt nur für den Landrat. Vorgeschrieben war, dass der Landrat selbst Sprechstunden in der Kreisstadt abzuhalten hatte. Die Vorschrift wurde nicht konsequent eingehalten.
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Parteipolitisch gesehen, war von der Horst stockkonservativ. Er und sein Vater, der Regierungspräsident Karl von der Horst, gerieten in das Visier des westfälischen Wochenblattes „Der Volksfreund“, das sie als hoch verschuldet und auf Staatskosten lebende adelige Schmarotzer darstellte. Für die „Fortschrittlichen“, die Liberalen jener Zeit, war der Landrat das konservative Gespenst und der Kreis Lübbecke Preußens Vendée in Anspielung auf die königstreue Provinz während der Französischen Revolution. Den Idealen der 48er Revolution stand Landrat von der Horst ablehnend gegenüber, desto mehr begrüßte er die nachfolgende politische Restauration. Leute wie der liberale Lübbecker Bürgermeister Strubberg, den er in einem für die Regierung bestimmten Bericht so bezeichnete: „… in politischer Beziehung schlecht … moralisch der Art verkommen, daß keiner seiner alten Bekannten mit ihm umgeht und das gemeinste Gesindel ihm frech und unerbietig begegnet.“ Strubberg war im Dezember 1854 vom Stadtrat nach zwölfjähriger Amtszeit wiedergewählt worden. Die Regierung verweigerte ihm die Bestallung – wohl auf Betreiben des Landrates und der ihm nahestehenden Gruppierung um Pfarrer Möller.
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Kreistage wurden auf Ellerburg, aber auch in Bad Fiestel, abgehalten. Das Bauernbad wurde damals von dem Weinhändler Dütting aus Osnabrück bewirtschaftet. Dieser hatte ein Interesse daran, Beamte und begüterte Landbesitzer als Gäste bewirten zu dürfen. Wie die Fama berichtet, war Bad Fiestel um 1800 eine bekannte Spielhölle.
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Der Gasthof Morré in Lübbecke, besser bekannt als Deutsches Haus. Hier fanden, wie schon vorher in Bad Fiestel, die Versammlungen der Kreisstände, so die offizielle Bezeichnung, statt. Das Deutsche Haus ist im Kaufhaus Deerberg aufgegangen.
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Hier im Gasthof Morré fand am 13. Dezember 1865 die Versammlung der Kreisstände statt. Bei dieser Versammlung ging es um die Anbindung an das Schienennetz der Eisenbahn.
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Der Kreistag war ein Ständeparlament ohne demokratische Legitimation im heutigen Sinne. In der Anwesenheitsliste fehlt der erste Stand. Dieser war dem Hochadel, den ehemaligen reichsunmittelbaren Fürstenhäusern vorbehalten. Es folgen im zweiten Stand die ehemaligen landtagsfähigen Rittergutsbesitzer, gefolgt von den Bürgermeistern der ehemals landtagsfähigen Städte im dritten Stand. Die Amtmänner und die Großbauern auf erblichem Grundbesitz bildeten den vierten Stand.
Es lag also keine demokratische Legitimierung im heutigen Sinne vor. Nach der Kreisordnung von 1886 verloren die Rittergutsbesitzer ihre so genannten Virilstimmen. Sie waren nicht mehr aufgrund ihres Standes Kreistagsmitglied. Sie mussten jetzt Wahlverbände bilden. Wahlverbände bildeten jetzt auch die kreisangehörigen Städte und Ämter als kommunale Verbände. Erst nach dem Ersten Weltkrieg gab es Kommunalwahlen im heutigen Sinne.
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In der Zusammensetzung der Kreisvertretung von 1874 spiegelt sich das Standesdenken der Zeit wider. Bemerkenswert ist die geringe Personalausstattung der Kreisverwaltung. Sie setzte sich aus Landrat, Sekretär und Boten zusammen. Das Amt des Kreissteuereinnehmers war Privatpersonen übertragen. Im Jahre 1908 war der Vorrang des Adels abgeschafft. Jetzt entschied die Größe der Güter, was, im Grunde genommen, wenig änderte. Der Kreistag blieb ein Standesparlament.
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Das persönliche Anliegen des Landrates von der Horst war die Förderung der Landwirtschaft, die er für rückständig hielt, sowie die Verbesserung der Straßen. Die noch heute allgemein bekannte Ortsbezeichnung „Horst's Höhe“ geht auf ihn zurück. In den Jahren 1854 und 1855 wurde ein Teil der Herforder Chaussee zwischen Reineberg und Wurzelbrink auf der „Schwarzen Erde“ abgesenkt. Die Strecke von Lübbecke bis zur Herforder Kreisgrenze wurde verbreitert und neu befestigt. Der Chausseewärter Hermann Heinrich Mescher erkannte die Gunst der Stunde und bat um Genehmigung für den Bau eines Gasthauses auf der „Schwarzen Erde“. Der Landrat stand dem Vorhaben wohlwollend gegenüber. Die notwendige Schankerlaubnis wurde erteilt. Das war der Grundstein für eine bekannte Ausflugsgaststätte auf der Horst's Höhe, das spätere Gasthaus Sölter. Das Haus wurde im September 1976 im Zuge der Erweiterung und Neutrassierung der B 239 abgebrochen.
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Zur Zeit des Landrates von der Horst war der Rechtsverkehr auf den Straßen keine Selbstverständlichkeit. Die Regierung wies den Landrat am 30. Januar 1857 an, endlich eine Straßenordnung für die Stadt Lübbecke herbeizuführen. Es war eine Frist von 6 Wochen gegeben. Der Lübbecker Bürgermeister Hanke Hanken wies seinen Sekretär an, möglichst schnell einen Entwurf bereitzustellen. Die Polizeidiener der Stadt hatten folgende Regelung zu beachten: Die Fuhrwerke sollen sich beim Begegnen rechts ausweichen. Jedes vorausfahrende Fuhrwerk soll das nachkommende schnellere Fuhrwerk auf ein gegebenes Zeichen wenn möglich links vorbeilassen. Allgemein galt, dass auf den Straßen und öffentlichen Plätzen nicht schneller als im kurzen Trab gefahren oder geritten werden durfte. Die Straßen, besonders die Kreisstraße „Herforder Chaussee“ bis zu Kreisgrenze Herford, war in einem miserablen Zustand, vor allem verursacht durch das Transportieren von Langholz, das, zusammengekettet und von Pferden gezogen, über die Straße geschleift wurde.
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Das Dokument zeigt eine landrätliche Verfügung vom 21. Dezember 1842, die die Salzseller betrifft. Eine Prüfung der Gewichte war angesagt. In Seller steckt das englische to sell (verkaufen). Der Salzverkauf war kein lukratives Geschäft, weil das staatliche Salzmonopol eine freie Preisbildung nicht zuließ. Den Familien war die abzunehmende Menge vorgeschrieben. Verkäufer wie Käufer war die Führung eines Salzbuches vorgeschrieben. Das Salz musste von der Salzfaktorei Melbergen, sprich Bad Oeynhausen, bezogen werden. Der ursprüngliche vom Mittelalter herrührende Salzhandel mit Lüneburg und Salzuflen war von der preußischen Regierung unterbunden worden. Das wiederum führte zu einem kaum zu kontrollierenden Schmuggel mit Salz.
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Zum Verdienst des Landrates von der Horst gehört die Einrichtung der Kreissparkasse im Jahre 1857. Die Geschäftsstelle wechselte mehrere Male. Im Haus des Ökonomen (Landwirt) Hartmann an der Ostertorstraße befand sich die erste Geschäftsstelle. Dann war sie 1896 kurzfristig im Haus des Lederfabrikanten Eduard Meyrahn an der Gerbergasse untergebracht ...
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... Schon im nächsten Jahr ging es in den Posthof des Gutsbesitzers Hüggelmeyer. Hier hielt man es nur ein Jahr aus, und es ging weiter in das Haus des Sparkassenrendanten von Aschen am Geistwall, bis die Kreissparkasse am 1. April 1911 in das Kreishaus umzog.
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Das Dokument zeigt einen Auszug aus dem Sparkassenregister vom Jahre 1905 mit den Kunden Schuhmacher Karl Becker, Klempner August Böhne, Ackerer (Ackerbürger) Karl Burbenker, Anstreicher Ernst Böhne und Bäcker Louis Brune.
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Der Lübbecker Bürgermeister Lüders erhielt am 4. Juni 1870 die Nachricht, dass das Kreisbüro von der Ellerburg nach Lübbecke in das Haus Weber neben dem Gerichtsgebäude verlegt worden sei. Auf der Lithographie von links ist das Gerichtsgebäude zu sehen, gefolgt vom Weberschen Haus. Die ausgehängten Flaggen zeigen das Landratsamt an.
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Nach der Wahl durch die Kreistagsabgeordneten wurde Ferdinand von Oheimb zu Hudenbeck von Oberregierungsrat von Schierstedt im Festsaal des Lübbecker Rathauses am 4. Februar 1871 in sein Amt eingeführt. Oheimbs Amtszeit endete 1894. Am 1. April 1887 trat die Kreisordnung für Westfalen in Kraft, die formell bis 1953 Bestand hatte, unterbrochen von der die demokratischen Grundregeln missachtenden Gemeindeordnung der NS-Zeit, die am 30. Januar 1935 in Kraft trat. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden am 13. Oktober 1946 unter Aufsicht der britischen Militärregierung die ersten Kreistagswahlen statt, die während der NS-Zeit ausgesetzt waren.
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Die Kreisstube, hier Landratsamt genannt, befand sich seit Juli 1874 an der Niedertorstraße, hier als Rahdener Chaussee bezeichnet. Das Grundstück ist rot markiert.
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Diagonal durchs Bild führt die Rahdener Chaussee. Von den drei angrenzenden Häusern ist das unterste mit dem Landratsamt identisch. Das Haus gehörte dem Kreissekretär Nordsiek. Ein ständiges Büro war eingerichtet worden.
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Die erste Anregung zum Bau eines kreiseigenen Landratsamtes ging von der Regierung Minden aus. Mit Datum vom 20. Dezember 1893 erging ein Rundschreiben an die Landräte, aus Kreismitteln ein Kreisständehaus zu errichten. Staatliche Mittel waren nicht vorgesehen. In Lübbecke kam es zu einer vorläufigen Lösung. Das Landratsamt zog als Mieter in den Burgmannshof am Markt.
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Unter Landrat von Oheimb war ein wichtiges Projekt für Stadt und Kreis Lübbecke eingeleitet worden, der Bau des Kreiskrankenhauses an der Liemschen Straße. Die Straßenbezeichnung bezieht sich auf Gut Obernfelde, ursprünglich ein Meierhof der Fürstabtei Herford, bekannt unter der Ortsbezeichnung Livenstede. Lübbecke konnte sich ein städtisches Krankenhaus nicht leisten. Bevor der Kreis Lübbecke in das Projekt einstieg, war die Grundstücksfrage zu klären. Betroffen waren Bürgergärten an der Liemschen Straße. Ihre Besitzer waren von dem Projekt nicht gerade begeistert und hätten das Krankenhaus lieber an anderer Stelle gesehen. Unter Landrat Wilhelm von Ledebur wurde das Projekt in die Tat umgesetzt. Am 16. Juli 1894 beschloss der Kreistag den Bau eines Krankenhauses mit 50 Betten. Der Bauentwurf wurde von Regierungsbaumeister Siebold, Bethel, angefertigt. Mit der Ausführung wurde der aus Lübbecke stammende, in Mülheim/Ruhr tätige Architekt Heidsiek beauftragt. Im Frühjahr 1895 wurde mit dem Bau begonnen. Am 7. Mai 1897 wurde das Krankenhaus eingeweiht.
Ein weiteres Projekt war von Landrat von Oheimb begleitet worden, der Eisenbahnbau der Strecke Bünde-Lübbecke-Rahden mit der Anbindung nach Bassum. Die Strecke wurde unter seinem Nachfolger, Landrat Wilhelm von Ledebur, am 30. September 1899 für den Verkehr freigegeben.
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 Nachfolger von von Oheimb wurde Landrat Wilhelm Freiherr von Ledebur. Seine Amtszeit endete 1917. Es war typisch für die Zeit, dass der Titel auf die Ehefrau übertragen wurde, also Frau Bürgermeister, Frau Medizinalrat. Landrätin Emmy von Ledebur, geb. Vincke, stammte aus dem Haus Ostenwalde. Die weitverzweigte Familie Vincke, die auch den ersten Oberpräsidenten der Provinz Westfalen gestellt hatte, hatte im Kreis Lübbecke zeitweise die Güter Groß- und Klein-Eickel besessen.
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Während der Amtszeit des Landrates von Ledebur wurde der neue Amtssitz, das Landratsamt an der Kreishausstraße, in den Jahren 1909/10 gebaut. Das Jahr 1910 war ein turbulentes Jahr. Am 19. Mai des Jahres bot der Halleysche Komet am Morgenhimmel ein faszinierendes Schauspiel. Ein leuchtender Schweif war zu beobachten, der die kühnsten Erwartungen übertraf. Ängstliche Bewunderung gab es auf der einen, Panik auf der anderen Seite. Die Befürchtung machte die Runde, der Komet könne mit der Erde kollidieren und damit alles Leben auslöschen. Für bestimmte religiöse Gruppen war eins sicher: Das Weltende und das Jüngste Gericht standen vor der Tür. Mit Gebeten und Gesängen, angetan in weißen Gewändern, erwarteten die Frommen das Unvermeidbare. Witzbolde und Karikaturisten ließen nicht lange auf sich warten, um auf ihre Art das Ereignis zu kommentieren.
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Das Richtfest wurde am 10. Dezember 1909 im „Grünen Hof“ an der Osnabrücker Straße gefeiert. Witwe Hein, Inhaberin des Lokals, und ihr Küchenpersonal hatten 200 Butterbrote geschmiert. 250 Liter Bier gingen über die Theke. 300 Zigarren lösten sich in blauen Dunst auf.
Der Bau des Kreishauses schritt voran. Am 1. Mai kam es zu einem öffentlichen Ärgernis. Sozialisten hatten in der Nacht zum 1. Mai dem Rohbau eine rote Fahne aufgesetzt. Man glaubte den Täter oder die Täter zu kennen. Halbherzig wurde eine Fahndung eingeleitet, die jedoch im Sande verlief. Wenige Monate später konnte ein repräsentativer schlossartiger Bau im Landhausstil mit einem parkähnlichen Garten bewundert werden.
Das „Lübbecker Kreisblatt“ berichtete in seiner Ausgabe vom 27. September 1910 über die erste Sitzung im Landratsamt und schrieb: „Lübbecke, 26. September. Das neue Landratsamt ist heute morgen dem öffentlichen Verkehr übergeben worden. Gegen 11 Uhr versammelten sich im Sitzungssaal die Herren Landräte Freiherr von Ledebur und von Raumer-Wittlage. Vom [Lübbecker] Magistrat erschienen die Herren Bürgermeister Pütz, Beigeordneter von Waldthausen als auch die Senatoren Kaupmann und Müller. Mit Herrn Kreissekretär Hümmelgen und Herrn Kreisausschuß-Sekretär Seefloth waren sämtliche Beamten des Königlichen Landratsamts zugegen.“ Eingeladen und zugegen waren auch sämtliche Amtmänner des Kreises Lübbecke. Es war eine formlose Sitzung. Beschlüsse wurden nicht gefasst.
In seiner Ansprache wies Landrat von Ledebur darauf hin, dass der Sitzungssaal noch unfertig sei. Auch der Anstrich war noch nicht fertig. Es fehlten die passenden Stühle. Gern nahm der Landrat das Angebot der Kommunalverbände und der Stadt Lübbecke entgegen, dem Kreis ein würdiges Kaiserbild für den Sitzungssaal zu schenken.
Thema der ersten Kreistagssitzung am 26. September 1910 war der Anschluss an das Stromnetz. Elektrische Beleuchtung sollte installiert werden. In Herford waren die Pläne schon weiter gediehen. Am 4. März 1909 war das Elektrizitätswerk Minden-Ravensberg gegründet worden. Beteiligt hatten sich neben dem Landkreis Herford auch der Landkreis Minden sowie die Städte Herford und Bünde. Zur Stromerzeugung diente ein Dampfkraftwerk in Kirchlengern. Dazu kamen ein Wasserkraftwerk in Herford und ein Dieselkraftwerk in Minden. In Lübbecke entschied man sich für die Niedersächsischen Kraftwerke.
Ein Festessen und die üblichen Grußadressen waren für die erste Sitzung des Kreistages nicht vorgesehen. Der Landrat, im preußischen Sinne zur Sparsamkeit erzogen, hielt von dergleichen Festlichkeiten wenig bis gar nichts, zumal ihm die üblichen Ansprachen, die nur dazu dienten, sich gegenseitig hochzuloben, wenig behagten.
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Lageskizzen aus der städtischen Versicherungsakte geben Einblick in das Innenleben des neu geschaffenen Landratsamtes. Dazu gehörte neben den Büroräumen eine herrschaftliche Einliegerwohnung mit einem angrenzenden parkähnlichen Garten. Das Ambiente entsprach den Wünschen der aus dem Ministerialadel stammenden Landräte. Die Familie von Ledebur nahm die Wohnung jedoch nicht in Anspruch. Sie blieb auf Crollage. Die Lübbecker Kaufmannsfamilie Mencke mietete die Wohnung. Erst von Ledeburs Nachfolger, Kurt von Borries, beanspruchte dann die Wohnung für seine Familie.
Die Zimmerhöhen von fast vier Metern sind für heutige Vorstellungen erstaunlich hoch, waren aber in den gutbürgerlichen Häusern durchaus üblich. Es gab Dampfheizung und vorläufig Gasbeleuchtung.
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Zum neuen Kreishaus gehörte ein Nebengebäude mit Wagenremise, Pferdestall und Einliegerwohnung für den Hausmeister. Dem Pferdestall schlossen sich Dünger- und Aschengrube an. Pferdemist war bei der damaligen Gartenwirtschaft begehrter Dünger.
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Zeichnung des Portals nach dem Vorschlag des Architekten Kramer aus Bielefeld (Kommunalarchiv Minden). Stilelemente der Renaissance aufzunehmen, war damals auch im Bürgertum beliebt.
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Zur Einliegerwohnung im Landratsamt gehörte eine sogenannte Veranda, eine überdachte Terrasse mit Seitenschutz. Im Dachgeschoß des Nebengebäudes über den Stallungen befand sich die Hausmeisterwohnung. Zwischen dem Nebengebäude und dem Landratsamt ist das Kaiserliche Postamt zu erkennen. Zwischen dem Postamt und dem Landratsamt liegt das Haus Schermer, Weingartenstraße 23, das bis heute weitgehend unverändert geblieben ist.
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Die kolorierte Postkarte aus der Zeit um 1912 zeigt das Landratsamt, überhöht von der Turmspitze der St.-Andreas-Kirche, und das Kreiskrankenhaus mit vorgelagerter Kapelle. Die Feldfluren grenzten nach Norden an die Osnabrücker Straße, damals auch bekannt als Blasheimer Straße.
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Die Weingartenstraße führte zum Landratsamt. Die Vorgärten und Linden wurden dem Verkehr über die Weingartenstraße zur Kreishausstraße geopfert.
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Unter Wilhelm von Ledebur, Amtszeit 1894 bis 1917, wurde ein wichtiges Projekt gestartet, das Gemeinschaftsunternehmen Lübbecker Hafen. Der Lübbecker Kanalhafen war ursprünglich ein Unternehmen der Stadt Lübbecke und der mit ihr verbundenen Interessenten aus Handel, Industrie und Landwirtschaft. Die Anfänge waren beschwerlich. Am 7. Dezember 1908 schrieb der Landrat dem Lübbecker Bürgermeister Pütz: „Ich komme immer mehr zu der Ansicht, daß die Stadt auf einen Hafen verzichten sollte.“ Der Landrat schlug vor, in Alswede einen Hafen anzulegen, da diese Örtlichkeit für alle Einwohner des Kreises gleich gut erreichbar sei. Das gelte auch für die Stadt Lübbecke. Davon wollte man in Lübbecke nun gar nichts wissen, zumal die landrätliche Ansicht nicht gerade von wirtschaftlicher Vernunft zeugte. Trotz des Widerstandes des Landrates, ließ die Stadt mit Einwilligung der Kanalbaudirektion Hannover eine Uferlandestelle für zwei Schiffe einrichten. Es wurden vollendete Tatsachen geschaffen. Nach vielen Verhandlungen gründeten Stadt und Kreis am 18. Februar 1918 eine gemeinsame Hafenbetriebsgesellschaft. Der Kreis schied zum Jahresende 1969 als Teilhaber der Gesellschaft aus.
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Zustand des „Landratsamtes“ im Jahre 1957. Die ersten Umbauten sind sichtbar. Platznot machte sich bemerkbar. Der spätere Anbau vom Jahre 1963 erwies sich als zwingend notwendig. Der Ankauf durch die Stadtverwaltung Lübbecke erfolgte 1976. Der nach Norden dem Landratsamt vorgelagerte Garten des Lehrers Edeler musste einem Parkplatz weichen.
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