Der Erste Weltkrieg hinterließ in Deutschland eine ruinierte Wirtschaft. Unsinnige wirtschaftliche Reparationsforderungen, festgeschrieben im Vertrag von Versaille, verschlimmerten die Lage, die jede vorausschauende Kalkulation unmöglich machte. Trotzdem gab es Profiteure, die Kriegsgewinnler, die durch raffiniert angelegte Tauschgeschäfte im Handumdrehen ein kleines Vermögen hervorzauberten. In den einschlägigen Lokalen wurde das leicht verdiente Geld auf den Kopf gehauen nach der Losung „Nach uns die Sündflut“. Allmählich mussten auch die verbliebenen kaisertreuen Patrioten einsehen, dass sich die gezeichneten Kriegsanleihen in Nichts aufgelöst hatten. Das Geld war wenige Jahre zuvor in der Hoffnung angelegt worden, nach einem siegreichen Kriegsende über ein gut verzinstes Konto verfügen zu können.
Die Geldentwertung wurde jeden Tag spürbarer. Eine Inflation von bisher unbekanntem Ausmaß begann der Wirtschaft zuzusetzen, und nicht nur ihr. Das tägliche Leben wurde zu einem Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Die Zahlen auf dem Papiergeld mit den immer wieder nachgesetzten Nullen ließen nichts Gutes ahnen. Das tägliche Geschäft scheiterte vor allem am Kleingeld. Plötzlich waren Briefmarken ein gängiges Zahlungsmittel.
Der Vorstand der städtischen Sparkasse Lübbecke teilte am 15. Mai 1920 der Stadtverwaltung mit, dass sie im Begriff sei, Ersatzwertscheine, auch Notgeld genannt, herauszugeben. Das Geldgeschäft wurde an eine hauseigene Bank abgegeben, an die im April 1921 gegründete Stadtbank.
Es war eine aus der Not heraus geborene Maßnahme, wie sie in vielen anderen deutschen Städten und Gemeinden bereits praktiziert wurde, um die lokale Wirtschaft nicht im Chaos versinken zu lassen. Die Stadtverordneten beschlossen im August 1920 die Ausgabe von Notgeld. Voraussetzung war die Genehmigung der Regierung Minden. Zur Absicherung ordnete der Regierungspräsident die Sperrung städtischer Wertpapiere an. Die Stadt haftete also mit einem Teil ihres Vermögens. Nachdem die Formalien erledigt waren, erhielt die ortsansässige Druckerei Werneburg den Auftrag, das gewünschte Notgeld zu drucken. Am 3. Juli 1920, einem Wochenende, gab die Stadtverwaltung die ersten Stücke aus, 50-Pfennig-Gutscheine.
Jetzt liefen zwei Währungen nebeneinander, die von der Inflation auf Millionenhöhe aufgeblähte Währung und die lokale, die sich an vorinflationären Preisen orientierte. Das Notgeld wurde zum Spekulationsobjekt. Es konnte an der Stadtkasse wieder in Reichsbanknoten zurückgetauscht werden. Während die Reichsbanknoten auf astronomische Höhen stiegen, blieb die Lokalwährung relativ stabil.
Lokal verwendbares Notgeld half in zahlreichen deutschen Städten und Gemeinden, den alltäglichen Zahlungsverkehr über den Ladentisch aufrecht zu erhalten. Auch bei den Auszahlungen der Arbeitslöhne war es hilfreich. Wegen der galoppierenden Inflation hatte es sich als notwendig erwiesen, nicht mehr einmal, sondern zweimal wöchentlich Lohnauszahlungen vorzunehmen. Das aus einer wirtschaftlichen Notsituation hervorgegangene Notgeld entzog sich weitgehend der staatlichen Kontrolle. Mit Bedenken beobachteten die übergeordneten Regierungsstellen den Umlauf der lokalen Zahlungsmittel. Sie wiesen darauf hin, dass Ersatzwertzeichen nur so lange zu dulden seien, als die gesetzlichen Zahlungsmittel zur Versorgung des Zahlungsverkehrs nicht ausreichten. Inzwischen waren Sammler auf den Plan getreten, die auf ihre Art versuchten, aus der Notsituation Profit zu schlagen.
Am 3. November 1921 erstattete die Bremer Bank Rotmann & Co. bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld Anzeige gegen den Lübbecker Magistrat, weil sich das Lübbecker Notgeldwesen immer mehr zu einem Notgeldunwesen entwickle. Das Notgeld werde nicht mehr zum Nennwert, sondern mit einem Aufschlag abgegeben. Die Bank wies auf einen Beschluss der Ausschüsse des Reichsrates hin, der untersagt hatte, das Notgeld unter Ausnutzung des Sammeleifers zur Verbesserung der Finanzen der Ausgabestellen auszugeben.
Der Lübbecker Magistrat setzte sich zur Wehr und gab zu bedenken, dass es bei dem angeblichen Aufschlag um eine Erstattung der aufgewandten Kosten gehe. Außerdem sollte man sich die Praktiken anderer Städte anschauen, bevor man auf Lübbecke herumhacke. So habe die Stadt Bielefeld kürzlich Scheine in Luxusausführung zu 25, 50,- und 100,- Mark herstellen lassen. Die Landesbank für die Provinz Westfalen habe soeben Aluminiummünzen im Wert von 50 Pfennigen in den Verkehr gebracht und habe sogar angekündigt, mit Fünf- und Zehnmarkstücken in Bronze aufzuwarten. Hinter der Klage der Bremer Bank vermutete man in Lübbecke eine Intrige der Konkurrenz, ohne den Verursacher benennen zu können. Trotz aller regierungsamtlichen Beteuerungen war Deutschland zu einem währungspolitischen Flickenteppich verkommen.
Folgende Serien städtischen Notgeldes waren im November 1921im Umlauf:
1. Ausgabe vom 14. Mai 1920 |
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104.000 Scheine je ½ Mark | 52.000 Mark |
300.000 Scheine je 10 Pfg. | 30.000 Mark |
102.300 Scheine je 5 Pfg. | 5.115 Mark |
506.300 Scheine über zusammen: | 87.115 Mark |
2. Ausgabe vom 8. Dezember 1920 | |
55.800 Scheine je 50 Pfg. | 27.900 Mark |
44.000 Scheine je 25 Pfg. | 11.000 Mark |
99.800 Scheine über zusammen: | 38.900 Mark |
3. Ausgabe, die Westfalenliedserie, vom Juli 1921 | |
12.500 Scheine je 2,- Mark | 25.000 Mark |
12.500 Scheine je 1,- Mark | 12.500 Mark |
12.500 Scheine je 50 Pfg. | 6.250 Mark |
12.500 Scheine je 25 Pfg. | 3.125 Mark |
50.000 Scheine über zusammen: | 46.875 Mark |
Durch die Klage der Bremer Bank Rotmann & Co. veranlasst, setzten sich der Lübbecker Magistrat im Verein mit der Stadtbank zur Wehr und erklärten dem Mindener Regierungspräsidenten: „Durch die Einziehung des verausgabten Notgeldes würde bei dem notorischen Mangel an Kleingeld eine sehr unangenehme Situation entstehen.“
Um einer Einziehung des Lübbecker Notgeldes durch die Regierung zuvorzukommen, wurden Lübbecker Kaufleute und Firmen sowie das Postamt, Gerichtskasse, Zollamt und Eisenbahn von der Stadtverwaltung angeschrieben in der Hoffnung, dass sie die Stadtverwaltung in ihrem Bemühen zu unterstützen würden, das Lübbecker Notgeld weiter im Umlauf zu lassen.
Das Postamt befürwortete die Einziehung des Notgeldes und schrieb. „Das Notgeld der Städte verfällt immer mehr der Privatspekulation und wird dadurch seinem Zweck entzogen.“ Gegenteiliger Meinung war man in der Gerichtskasse, im Zollamt und am Schalter der Bahn. Dem schlossen sich die Lübbecker Kaufleute und Fabrikanten an. Das Antwortschreiben der „Cigarren-Fabriken August Blase“ wies eine Einziehung des Lübbecker Notgeldes brüsk zurück. In dem Antwortschreiben hieß es: „Die bisherige Erfahrung hat gelehrt, dass diese Mengen [an Kleingeld] hier nicht zu beschaffen sind. Den Gewerbetreibenden und der Industrie kann nicht zugemutet werden, dass sie allwöchentlich ihren Bedarf an Kleingeld in Minden abholen lassen und noch dazu die Kosten der Abholung und die Gefahr der Beraubung tragen sollen. Hartgeld irgend welcher Art habe ich seit Jahren in grösseren von mir benötigten Mengen nicht zu sehen bekommen.“ Im Januar 1922 beliefen sich die Arbeitslöhne bei Blase monatlich auf über 900.000,- Mark. Benötigt wurde Kleingeld, und zwar 50.000,- Mark, gestückelt in Fünf-, Zehn- und Fünfzigpfennigscheinen.
Die Bremer Papier- und Wellpappenfabrik teilte der Stadtverwaltung mit, dass sie Kleingeld lediglich für Lohnzwecke benötige. Die Stückfärberei Vogeler wünschte endlich wieder Hartgeld in genügenden Mengen. Tatsächlich wurde erwogen, Kleinmünzen als Notgeld in Umlauf zu bringen. Am 14. März 1922 ordnete der Mindener Regierungspräsident auf Ersuchen der Reichsbank die Einziehung der noch im Umlauf befindlichen Notgeldscheine an. Am 10. August 1922 teilte die Landesbank der Provinz Westfalen der Lübbecker Stadtverwaltung mit, dass die gesperrten Wertpapiere freigegeben seien. Das Notgeld hatte nur scheinbar ausgedient.
Der Deutsche Städtetag teilte seinen Mitgliedern am 14. November 1922 mit, dass die Umlauffrist des Notgeldes bis zum 15. Dezember d. J. verlängert worden sei mit der Maßgabe, das Notgeld spätestens an diesem Tage öffentlich auszurufen, damit es innerhalb einer Frist von drei Wochen eingelöst werden könne. Weiter hieß es in der Mitteilung: „Aufgabe des Notgeldes ist es, lediglich die fehlenden gesetzlichen Zahlungsmittel zu ersetzen, nicht aber, finanzielle Schwierigkeiten zu beheben.“
Es gab aber auch Lichtblicke in dieser wirtschaftlich tristen Zeit. Im Juli 1922 eröffnete Rudolf Bock im Scharrn ein Manufakturwaren- und Bettengeschäft. Die Kammgarnspinnerei setzte ihr Bauvorhaben an der Strubbergstraße in die Tat um. Ein modernes Fabrikgebäude mit großzügigen Büroräumen wurde gebaut. Die „Spinnewüpken“, so wurden die Arbeiterinnen im lokalen Idiom genannt, konnten einziehen. Die Stadtverwaltung bereitete Notstandsarbeiten für diejenigen Männer vor, die nach der Entlassung aus dem Militärdienst keine Arbeit gefunden hatten, oder durch die mangelnden Aufträge ihres früheren Arbeitgebers schuldlos im Heer der Arbeitslosen gelandet waren. Diejenigen, die in das Arbeitsprogramm aufgenommen wurden, erwartete schwere körperliche Arbeit beim städtischen Straßenbau und in den Steinbrüchen. Die Notstandsarbeiten wurden über die Inflationszeit hinaus fortgesetzt. Bei allen Notstandsarbeiten, sei es im Straßenbau, in den Steinbrüchen oder in den städtischen Anlagen wie Friedhof und Heldenhain, gab es ein Problem. Die auszuführenden Arbeiten konnten nicht im Akkord oder unter Zeitvorgabe vergeben werden, weil die eingesetzten Kräfte zu ungewohnten Tätigkeiten verpflichtet waren.
Eine rationierte Zuteilung von Lebensmitteln und Brennstoffen war in der Zeit des Notgeldes noch alltäglich. Irgendwie hatte man sich seit den Kriegstagen an die Bewirtschaftung gewöhnt. Von einer Hungersnot war man in Kleinstädten wie Lübbecke weit entfernt. Kleintierhaltung war üblich und ein kleiner Garten sorgte für Abwechslung auf dem Küchentisch. Wer keinen eigenen Garten besaß, war auf Pachtland angewiesen. Die Landstraßen waren mit Obstbäumen gesäumt, die je nach Zuständigkeit zum Besitzstand der Gemeinden gehörten. Es war üblich, das Obst vor Ort zu versteigern. Selbstverständlich nur zum Selbstpflücken. Vor Überraschungen war man nicht sicher, wenn das ersteigerte Obst über Nacht verschwunden war. War das tägliche Überleben auch halbwegs gesichert, so sah es auf anderen Gebieten wenig erfreulich aus. Wem das nötige Kleingeld fehlte und wer womöglich auf öffentliche Unterstützung angewiesen war, konnte in Bedrängnis geraten. Jede Hilfe ob öffentlich oder privat war willkommen.
Aus der im Ersten Weltkrieg eingerichteten Kommission zur Unterstützung der Kriegerwitwen und Kriegsinvaliden war in der Inflationszeit der Wohlfahrtsausschuss hervorgegangen, der sich bedürftiger Familien annahm. Es ging im Wesentlichen um die Verteilung von Brennstoffen wie Torf aus dem städtischen Anteil am Isenstedter Moor. Es gab Kohlelieferungen frei Haus und Zuwendungen an Lebensmitteln. Einkleidungsbeihilfen sowie die Bezuschussung von Kuren für tuberkulöse Kinder gehörten zum Programm des Ausschusses.
Es kam zu ungewöhnlichen Tauschaktionen. Im Anzeigenteil des „Lübbecker Kreisblattes“ vom 4. Januar 1923 machte ein unbekannter Inserent folgendes Angebot: „Gut erhaltenes Klavier gegen fettes Schwein einzutauschen.“ Eine Hausfrau, die an bescheidene Verhältnisse gewöhnt war, konnte verzweifeln, wenn sie die Zeitung aufschlug. Die Molkereien Blasheim und Lübbecke gaben am 14. August 1923 im „Lübbecker Kreisblatt“ bekannt, dass ein Liter Milch ab sofort 60.000 Mark koste.Aus den Privatanzeigen im „Lübbecker Kreisblatt“ spricht die erdrückende Existenznot, die jeden Haushalt treffen konnte. In der Ausgabe des Blattes vom 23. Oktober 1923 wurden als Gegenleistung für ein Herrenfahrrad 33 Zentner Kartoffeln gefordert, für ein Damenfahrrad 35 Zentner. Bei dem Lübbecker Auto-, Motorrad- und Fahrradhändler Hugo Becker konnte man ein Fahrrad oder eine Nähmaschine gegen Kartoffeln eintauschen. Der Tauschwert des Geldes war außer Kraft gesetzt. Es hatte sich ein reger Tauschhandel, namentlich in den Dörfern, entwickelt - allen landrätlichen Verboten zum Trotz. Was brachten schon Kontrollen? In den weitläufigen Bauernhäusern gab es immer irgendwo ein Versteck.
Die Geldentwertung betraf auch die Beerdigungen. Plötzlich wussten Minderbemittelte nicht mehr, wie sie die Kosten für eine Beerdigung aufbringen sollten. Das Holz für einen Sarg war für sie unbezahlbar geworden. Auf Drängen der Tischler erklärte sich die Stadt bereit, Abhilfe zu schaffen. Auch die Bürgerschaft blieb nicht untätig. Die Notgemeinschaft „Bestattungshilfe“, der sich etwa 500 Haushalte anschlossen, wurde gegründet. Im Februar 1923 wurde die städtische Bestattungshilfe eingerichtet. Die Stadt verpflichtete sich, aus den städtischen Waldungen Sargholz zu beschaffen. Zuständig für die Ausführung war Stadtförster Böhning. Um Notfälle zu vermeiden, wurde sofort auf dem Boden des Armen- und Siechenhauses am Kirchplatz nachgesehen, wo ständig Sargbretter gelagert wurden. Zweifelhafte Angebote landeten auf dem Tisch des Bürgermeisters. Eine Firma, die im Eisenbetonbau tätig war und an Auftragsmangel litt, bot Holzersatzsärge an. Eine andere bot einen Kunstholzsarg unter der deplazierten Bezeichnung Triumpf an. Auch von Särgen aus einer Art Gipsmasse ist die Rede.
Am 25. Oktober 1923 schlossen Kreis und Stadt Lübbecke einen Vertrag zur gemeinsamen Ausgabe von Notgeld. Der Vertrag enthält folgenden Passus: „Von den fünfzig Billionen Mark (in Zehn-Milliarden-Scheinen), die der Kreisausschuß bereits mit seiner alleinigen Unterschrift hat herstellen lassen, erhält die Stadt ein Fünftel gleich 10 Billionen. Sie übernimmt dafür die Herstellungskosten und verpflichtet sich, ein Fünftel der von der Kreiskommunalkasse einzulösenden Scheine ihrerseits einzulösen. Weiteres Notgeld ist bis auf weiteres nur gemeinsam mit der Unterschrift des Kreisausschusses und des Magistrats auszugeben.“
Im Oktober 1923 war eine Institution auf Reichsebene eingerichtet worden, die den unhaltbaren monetären Zuständen ein Ende setzen sollte. Am 15. Oktober 1923 war die Deutsche Rentenbank gegründet worden. Sie gab die ersten Banknoten heraus. Zwölf Nullen waren gestrichen. Die Rentenmark war geboren, abgesichert durch Schuldverschreibungen auf Industrie- und Grundbesitz. Die Inflation war gestoppt. Das Notgeld verschwand allmählich aus dem alltäglichen Zahlungsverkehr. Die Banken eröffneten Rentenmarkkonten.
Trotzdem geriet der Einzelhandel in Bedrängnis, weil ein solider Geld- und Warenverkehr noch nicht möglich war. Am 27. November 1923 gab der Lübbecker Verein der Einzelhändler über das „Lübbecker Kreisblatt“ bekannt, dass Schecks nicht mehr angenommen würden, da im Gegenzug keine Ware erhältlich sei. Das tägliche Geschäft war zum Alptraum geworden.
Schulrektor Schlomann beschreibt als Chronist die zeitbedingte Situation an der Bürgerschule am Markt. Zum Schuljahr 1923/24 heißt es in der Schulchronik: „Da unsere Währung immer mehr verfiel und die wirtschaftliche Lage weiter Kreise immer schwieriger wurde, entschloß sich der Vaterländische Frauenverein in Verbindung mit dem Magistrat, eine Kinderspeisung einzuführen. Die schwachen und bedürftigen Kinder erhielten an den Unterrichtstagen in der großen Pause einen Teller kräftiger Suppe mit Fleisch und Gemüse. An [die] 130 Kindern wurde diese Wohltat zu teil. Außerdem erhielten noch Arme und Bedürftige je eine Portion Essen, sodaß täglich wohl bis zu 200 Portionen ausgeteilt wurden. Diese Einrichtung wurde bis Ende März 1924 aufrecht erhalten.“ Die hier genannte Versorgung Bedürftiger erfolgte über die Notstandsküche im Kellergeschoss der Schule am Markt. Die Schulküche war gemeinnützigen Zwecken zugeführt worden. Der von Schlomann erwähnte „Vaterländische Frauenverein“ war der Vorläufer der Ortsgruppe des Deutschen Roten Kreuzes in Lübbecke. Hilfe kam auch aus dem Ausland. Es gab die Quäkerspeisung, organisiert von der amerikanischen Religionsgemeinschaft.
Das im Oktober 1923 von Stadt und Kreis Lübbecke gemeinsam eingeführte Notgeld wurde bis spätestens zum 11. Januar 1924 zur Einlösung aufgerufen. Gegen dieses von Stadt und Kreis abgesicherte Notgeld hatten in der Bevölkerung erhebliche Vorbehalte bestanden. Es hatte wenig genützt, als der Landrat öffentlich erklärte, dass es sich um ein gesetzliches Zahlungsmittel handele.
Die alltägliche Not zeigte sich im Straßenbild. Auffallend viele Bettler waren in den Wochen vor dem Weihnachtsfest des Jahres 1923 auf den Straßen. In der Aula der Volkschule am Markt wurde eine Weihnachtsfeier veranstaltet, an der diejenigen Kinder teilnahmen, die aus der Notstandsküche versorgt wurden.
Die Gründung der Deutschen Rentenbank im Oktober 1923 und die Einführung der Rentenmark war ein mutiger Schritt. Die wirtschaftlichen Beziehungen wurden wieder berechenbar. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren damit nicht beseitigt. Die Zahl der Arbeitslosen stieg unaufhörlich an. Politische Agitatoren trafen auf eine verunsicherte Bevölkerung. Eine neue Katastrophe bahnte sich an.
Im November 1924 bat die „Wissenschaftliche Gesellschaft für rheinisch-westfälische Notgeldkunde“ mit Sitz in Hagen den Lübbecker Magistrat um Überlassung von Notgeld, um so ein Denkmal zu schaffen an jene harte Zeit, die zu durchleben wir Gelegenheit hatten und um den Heimatsinn zu fördern. Die Stadtverwaltung verwies die Angelegenheit an die Kreissparkasse. Sparkassenobersekretär Stoppkotte bemerkte dazu kurz und knapp: „Es ist kein Notgeld mehr vorrätig.“ Die Inflation war gebannt. Die Erinnerung an sie blieb bis zum heutigen Tag gegenwärtig.
Lübbecke, 02.05.2012
Quellen: Stadtarchiv Lübbecke, Stadtchronik, Protokollbuch des Wohlfahrtsauschusses. Aus dem Bestand CI die Akten 5.13, 6.85 und 18.20, H.1, Magistratsprotokolle 1921 – 1923.