Stadt Lübbecke

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Stadtbrand und Visionen, Spuk und “Vertellsel”

Dem Lübbecker Stadtbrand von 1766 waren Visionen des Nachtwächters Niemeyer vorausgegangen. Nachdem Niemeyer das Gesehene dem Magistrat mitgeteilt hatte, sah sich dieser veranlaßt, Vorkehrungen zu treffen, um einen Brand zu verhindern oder wenigstens im Keime ersticken zu können. Obwohl der Brand an anderer Stelle als der vorausgesagten ausbrach, war aus der Sicht vieler Bürger eine Prophezeiung in Erfüllung gegangen. Über hundert Häuser, Scheunen und Ställe waren in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1766 in Schutt und Asche gelegt worden. Was gerettet werden konnte, wurde bei Freunden und Bekannten eingelagert, wo die Geschädigten einen vorläufigen Unterschlupf gefunden hatten. Der Wiederaufbau wurde im folgenden Jahr, sobald es die Witterung zuließ, sofort in Angriff genommen, denn die Bestellung der Gärten und Äcker duldete keinen Aufschub.

Bürgermeister Sagittarius sah ein göttliches Strafgericht am Werk, vor dem der Visionär rechtzeitig gewarnt hatte. Sagittarius notierte im Stadtbuch: “Gott gebe einem jeden ein bußfertiges Herz, damit wir uns für aller Ruchlosigkeit und sündlichem Wesen hüten, und inskünftige mit dergleichen Züchtigungen verschont werden mögen.” Stadtprediger Hagedorn konnte der Ruchlosigkeit und Verdorbenheit der Menschen nur sein geistliches Wort entgegensetzen. In seiner Predigt nach dem Stadtbrand ließ er die Gemeinde wissen: “Andere hingegen haben sich aus dem Feuereifer des Allmächtigen so wenig gemacht, daß sie sogar mitten unter dem Brande aufs Rauben und Stehlen bedacht gewesen sind; anstatt daß sie die Unglücklichen durch Hülfe und Rettung hätten trösten sollen, haben sie vielmehr die Noth und Bekümmerniss derselben zu vergrößern gesucht. Solche Leute sind gewissermaßen noch mehr als die Verunglückten zu beklagen. Denn diese haben doch nur an zeitlichen Gütern, jene aber an ihren unsterblichen Seelen Schaden gelitten.”

Bürgerschaft und Magistrat wurden nur wenige Monate später erneut aufgeschreckt, als bekannt wurde, daß die Frau des Nachtwächters von der Vision einer erneuten Feuersbrunst heimgesucht worden war. Am 9. März 1767 wurde Anna Sophia Elisabeth Niemeyer zu einer Befragung im Rathaus vorgeladen. Hier wurde sie von Bürgermeister Sagittarius, Kämmerer Stremming und Senator Poelmahn erwartet.

 

Die Frau des Nachtwächters gab unter Eid zu Protokoll, daß sie in der Nacht vom 2. auf den 3. März etwa um Mitternacht, als sie im Stubenofen etwas Holz nachlegen wollte, damit ihr Mann nach dem Abblasen eine warme Stube vorfinden möchte, eine “Vorgeschichte” gehabt und das eigene Hausdach in Flammen stehend gesehen habe. Dann sei sie hinausgelaufen, um ihrem Mann von dem Vorgefallenen zu berichten. Wegen des stürmischen Windes sei sie nur bis zum Schulhaus am Kirchhof vorgedrungen, wo sie gesehen habe, wie mehrere Häuser und der Tribbenhof am Markt in Flammen gestanden hätten. Dabei habe sie “klägliches Geschrey und Wehklagen” gehört. Wie weit sich das Feuer ausgebreitet habe, könne sie nicht mehr sagen. Die Vision, erwachsen aus Ängstlichkeit und übertriebener Vorsicht und einer nicht geringen Glaubensbereitschaft in der Bürgerschaft nach der Brandkatastrophe vom Dezember 1766, ging nicht in Erfüllung.

Als Valentin Christian Moritz Consbruch 1787 in Lübbecke das Bürgermeisteramt übernahm, trat ein Mann an die Spitze der Verwaltung, der durch abergläubisches Geschwätz nicht zu beeindrucken war. Er vertraute auf Vernunft und gesunden Menschenverstand. Am 11. Dezember 1797 ging bei ihm die Anzeige ein, daß in der Stadt das Gerücht umgehe, die Frau des Musketiers [1] Kriot habe die “Vorgeschichte von einer Feuersbrunst gesehen”.

In der Stadtverwaltung war man, was die Gerüchteküche betraf, vorsichtig geworden und lud eine Zeugin vor, die mit der besagten Soldatenfrau gesprochen hatte. Die Zeugin gab am 12. Dezember 1797 im Rathaus zu Protokoll: “Dieses Gerede war mir anfangs so schrekhafft, daß ich der Sache nicht weiter nachfragen wollte, indeß entschloß ich mich die Frau des Soldaten selbst daüber zu befragen. ... worauf mir denn auch diese Soldaten Frau frey gestand und erzählte: Wie sie noch mit ihrem Mann in dem Krooschen Haus am Markte gewohnt habe, hätte sie eines Morgens mit Tag Anbruch auf der Köttelbeck [2] ein Feuer gesehen, welches sich bis nach der Thonstrasse verbreitet und da erst gelöschet worden. Sie bemerkte dabey, daß dieses Feuer durch Verwahrlosung von Kindern angehen werde. Ich fragte ob sie wohl sagen könne, zu welcher Zeit das Feuer angehen werde, worauf sie mir zur Antwort gab: Es wären nun schon 14 Tage verflossen, seit dem sie die Vorgeschichte gehabt habe, und würde sich das Unglück wohl in 4 Wochen ereignen.”

Wenn man im Lübbecker Rathaus von dem ganzen Spuk auch nicht viel hielt, daß irgendwo unkontrolliert ein Feuer ausbrechen könnte, besorgt war man doch. Wiederholt hatte sich folgende Geschichte zugetragen: Feueralarm war ausgelöst worden. Neugierige und Hilfsbereite kamen herbeigelaufen. Irgendjemand glaubte zu wissen, wo der Brand wohl ausgebrochen sein könnte. Am angeblichen Brandort angekommen, gab es lange Gesichter. Von Brand und Rauch keine Spur. Als die Helfer wieder in ihre Häuser zurückkehrten, war die Überraschung groß, als sie erschreckt feststellen mußten, daß ihre Truhen ausgeräumt waren. Es gab auch Visionäre, die ihre Visionen bereitwillig unters Volk streuten und die Lunte schon bereit liegen hatten, um ihre Vision Wirklichkeit werden zu lassen - zum eigenen Vorteil. Genügend leerstehende Häuser warteten nur darauf, von Dieben heimgesucht zu werden. Teilhaber am Diebesgut war der Visionär selbst.

Im Falle der Anne Marie Ilsabein Kriot, geb. Freytag, aus Oetinghausen bei Herford waren derartige betrügerische Machenschaften nicht zu erwarten. Tiefsitzende Ängste und Zwangsvorstellungen, die in ihrer Kindheit angelegt waren, hatten sich ihr aufgedrängt, sich als Wahrsagerin auszugeben. Sie wußte auch zu erklären, wie sie zu dieser Gabe gekommen war. Sie gab bei einer Befragung im Rathaus zu Protokoll, daß sie die Gabe von ihrem Vater geerbt habe. Auch der Himmel habe seinen Segen gegeben, denn sie sei “auf einem Sontag unter der Predigt und zwar unter der Zeit da der Prediger den Segen spricht gebohren.” Daher sei es ihr auferlegt, Leichen, Hochzeiten und Feuersbrünste vorherzusehen. Wenn sich eine “Vorgeschichte” ankündige, werde sie nachts von geheimnisvollen Kräften geweckt und “beym Arme einigemahle gezupft”, damit sie sich auf den Weg zu dem Orte mache, wo das Gesehene passieren werde. Komme sie der Aufforderung nicht nach, dann setze es Ohrfeigen, daß ihr Hören und Sehen vergehe und ihr Mann sie gehen lassen müsse. Sicherlich hatte sie Ohrfeigen bekommen, wenn das Zupfen am Arm nichts nutzte, nur nicht von einer geheimnisvollen Kraft, sondern von ihrem Mann, der ihre Unruhe und Geschrei nicht aushalten konnte und sie auf seine Art zur Vernunft bringen wollte.

Der Fall Kriot wurde auf einfache Weise gelöst. Musketier Kriot wurde versetzt. Seiner Frau wurde die Wahrsagerei unter Strafandrohung untersagt. Wenn man jedoch geglaubt hatte, durch Strafen und Aufklärung dem Unsinn entgegenwirken zu können, mußte man bald einsehen, daß alle Mühe umsonst war. Ängstliche Gemüter glaubten sich Gefahren ausgesetzt, die in der nächsten Umgebung lauerten. Im Januar 1800 wurden Dorfbewohner im Lübbecker Rathaus vorstellig. Sie fühlten sich von einem Wolf bedroht, der angeblich zwischen der Bauerschaft Eickel und dem Gut Hollwinkel sein Unwesen trieb. Im Lübbecker Rathaus war bekannt, daß sich widersprechende Erzählungen über den Wolf im Umlauf waren. Daher rechnete man die Geschichten den Schauermärchen zu, wie sie auf Spinnabenden und in Wirtshäusern gläubige Zuhörer fanden. Dann gab es noch die Geschichte von einer Bande Spitzbuben, die sich angeblich im Gehölz zwischen Nettelstedt und Eickhorst eingenistet hatten. Sichere Beweise gab es jedoch nicht, und damit ließ die Verwaltung die Angelegenheit auf sich beruhen.

 

Vollständiger Text: 88. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (Jg. 2002/2003).

Lübbecke, 10. April 2006


[1] Abgeleitet von Muskete, einer Handfeuerwaffe der Infanterie. Kriot war in Lübbecke einquartiert. Seine Kompanie gehörte zum Rombergschen Bataillon.

[2] Nach 1927 ein Teil der Bäckerstraße zwischen Lange Straße und Markt.

Autor: Stadtarchivar Helmut Hüffmann, Illustration vom Verfasser 

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