Stadt Lübbecke

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Das Hospital zum Heiligen Geist in Lübbecke

Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter bereitete den Boden zur Gründung städtischer Hospitäler im mittelalterlichen Europa. Nach den Aachener Regeln von 816 sollte jede Bischofsstadt ein Hospital besitzen. Diese waren beispielgebend für andere befestigte Orte und Städte. Fromme Beweggründe allein genügten nicht, um ein Hospital zu gründen. Wirtschaftliche Absicherung war eine wesentliche Voraussetzung. Himmlischer Lohn erwartete die Stifter und Schenker.

Für Lübbecke liegt die erste urkundlich bezeugte Schenkung, soweit ersichtlich, für das Jahr 1363 vor. Damals schenkte Bernd v. Gesmele mit Zustimmungen seiner Frau und Erben um ihrer aller Seelenheil willen den Obleuten der Bruderschaft “Unserer Lieben Frau” in Lübbecke einen jährlich zu liefernden Molt Roggen von einem Hof in Husen (Stockhausen?), um es zum Nutzen der Armen im “Heiligen Geist” in Lübbecke zu verwenden. Das Heilig-Geist-Hospital lag vor dem Ostertor am Stadtgraben auf dem späteren Cornbergschen Burgmannshof, der in seiner Fläche dem heutigen Parkplatz am Gänsemarkt entspricht.

Der Mindener Domherr Heinrich Tribbe berichtete um 1460 etwas wortkarg über das Lübbecker Hospital. Er schreibt, daß es vor dem Ostertor liege und wiederhergestellt sei. Es sei zerstört gewesen und seine Güter seien ihm entfremdet worden. Ein Feuer, das den größten Teil der Stadt in Mitleidenschaft gezogen hatte, war nach Tribbe der Grund für die Zerstörung gewesen.

Die Beurkundung von 1363 und die Nachricht des Heinrich Tribbe sind spärlich und sagen nichts über die Anfänge oder die Gründungszeit des Hospitals aus. Das Hospital dürfte bereits im 13. Jahrhundert bestanden haben. Die Gründungszeit muß nicht unbedingt nach 1279 anzusetzen sein, als Lübbecke zur Stadt erhoben wurde. Der befestigte Markflecken Lübbecke kann vor dieser Zeit ein Hospital besessen haben, was mit der Zentralität des Ortes übereinstimmen würde. Es wird von einem der ansässigen Rittergeschlechter gestiftet worden sein. Da das Hospital auf dem späteren Burgmannshof der v. Cornberg lag, ist davon auszugehen, daß es von den damaligen Besitzern des Hofes gestiftet worden ist. Im 16. Jahrhundert erscheinen die v. Holle als Hofbesitzer. Seit wann sie den Hof besaßen und wer Vorbesitzer war, ließ sich bisher nicht ermitteln.

Die Hospitäler sind nicht mit den Siechenhäusern, den Leprosorien zu verwechseln. In Lübbecke verweist die Flur “Seekenkamp” östlich von Lübbecke vor Gehlenbeck auf das städtische Leprosorium. Da die Lepra besonders im 13. Jahrhundert grassierte, dürfte das “seekenhus” eine Stiftung aus dieser Zeit sein. Der von der Lepra Gekennzeichnete wurde wie ein Toter behandelt und vor der Aussetzung mit den Sterbesakramenten versehen. Er erhielt die dunkle Aussätzigenkleidung, Handschuhe, Stock, Trinkgefäß, Brotsack und die unerläßliche Lazarusklapper, um die Gesunden vor einer Annäherung zu bewahren. Zum “seekenhus” gehörte eine kleine Landwirtschaft, der “Siechengarten”, zur Selbstversorgung und eine Kapelle mit einem Bildnis des aussätzigen Lazarus für die täglich vorgeschriebenen Gottesdienste. Die ständige Bekämpfung der Lepra und das damalige Wissen um Hygiene zeigten nach Jahrhunderten Wirkung. Im frühen 17. Jahrhundert war die Lepra weitgehend zurückgedrängt.  Für das Jahr 1634 wird noch ein Insasse im Lübbecker “seekenhus” genannt.  Möglicherweise war er der letzte. Soweit ersichtlich, sind spätere Fälle nicht bekannt. Der “Siechengarten” verblieb beim Lübbecker Armenfonds.

Wieweit die Lübbecker Bruderschaften in die Krankenpflege eingebunden waren, läßt sich nicht mehr feststellen. Die 1633 während der Zeit der “Seuchen und Pestilenz” gegründete Andreas-Bruderschaft ist nach heutigem Verständnis ein Sozialverband und hat mit dem Hospital und Armenhaus keine Verbindung. Überkommenen Vorstellungen folgend, bezeichnete sich die Bruderschaft auch als Gilde und brachte damit die Beachtung ihrer Statuten zum Ausdruck, denen sich die Mitglieder zu unterwerfen hatten. Geselliges Zusammensein und gegenseitige Hilfe gehörten zu den Gepflogenheiten der Bruderschaft. Bei lebensbedrohenden Krankheiten konnten sich die Erkrankten und ihre Angehörigen auf die Hilfe der Bruderschaft verlassen. Die Bruderschaft sorgte auch für ein christliches Begräbnis. Bei Bedürftigkeit trug die Brüderschaft die Begräbniskosten. Soweit es möglich war, mußten die entstandenen Kosten aus dem Erlös, den der Nachlaß des Verstorbenen erbracht hatte, zurückgezahlt werden.

Das Hospital am Ostertor

Einen Hinweis gibt die Straßenbezeichnung “Geistwall”. Sie kennzeichnet in etwa den Verlauf des östlichen Stadtwalles. Im Winkel von Nieder- und Geistwall lag einmal der bereits erwähnte Cornbergsche Burgmannshof, die spätere St.-Paulus-Innung. Das Gelände entspricht dem heutigen Areal des Parkplatzes am Gänsemarkt. Aus dem Jahre 1745 ist die Nachricht überliefert, daß auf dem Hof der Witwe v. Cornberg ein Schafstall “nebst der Tinne” und ein weiterer Schafstall mit dem Namen “alte Geist” stehe. Mit “Tinne” ist die “Zinne” gemeint, also ein Teil der bewehrten Stadtmauer. Der Ausdruck “Geist” bezieht sich auf das ehemalige Hl.-Geist-Hospital. Das Hospital war hier aufgegeben und in einen Schafstall umgewandelt worden. Es war verlegt worden. Wohin?

Am 26. Juni 1715 notierte der Lübbecker Stadtsekretär, daß das neue Armenhaus fertiggestellt sei und daß an diesem Tage der Umzug von dem alten in das neue Haus stattfinde. Der Sekretär verwendet hier statt der Bezeichnung "Hospital” den Ausdruck “Armenhaus”. Diese beiden Ausdrücke werden synonym gebraucht. Im Hl.-Geist-Hospital waren die Ärmsten der Armen und die Waisenkinder untergebracht, die keinen familiären Rückhalt hatten und, hilflos auf sich selbst gestellt, an den Rand der bürgerlichen Gesellschaft gedrängt waren. Die Bezeichnungen “Hospital” und “Armenhaus” laufen, wie in anderen Städten auch, gleichbedeutend nebeneinander her. Der Ausdruck “armenlude” ist für Lübbecke in einer Beurkundung von 1363 festgehalten. Er ist jedoch älter.

Dem 1715 fertiggestellten Neubau lag ein Beschluß des Magistrats vom 29. Nov. 1712 zugrunde, in dem dieser einer Bitte des Jobst Wilhelm v. Cornberg entgegenkam. Cornberg hatte dem Magistrat schriftlich und mündlich die Bitte vorgetragen, daß er das Armenhaus, “der Geist genandt”, seinem Haus inkorporieren möchte. Als Gegenleistung hatte er die Versicherung gegeben, daß er ein neues Armenhaus auf seine Kosten errichten lassen wolle. Dazu faßte der Magistrat folgenden Beschluß:
  1. Dem Herrn v. Cornberg wird auf dem Stadtwall ein Bauplatz zugewiesen, den er mit 20 Talern bezahlt.
  2. Der Stadtgraben wird so aufgefüllt, daß der Bauplatz Straßenniveau erreicht.
  3. Eine Schutzmauer wird aufgeführt. Vom Fundament der Deele wird ein Abfluß gelegt.
  4. Die Fenster sind mit eisernen Stangen zu sichern.
  5. Im Erdgeschoß sind 2 Stuben sowie 7 oder 8 Kammern einzurichten.
  6. Das Vorhaus dient als Küche und Aufenthaltsraum. Hier ist ein Schornstein einzubauen.
  7. Der Armenfonds erhält 200 Taler aus dem Vermächtnis des Offiziers (Capitain) Carl Gustav v. Cornberg, des Bruders von Jobst Wilhelm.

Der Beschluß war Grundlage eines Vertrages zwischen der Stadt Lübbecke und dem Jobst Wilhelm v. Cornberg gewesen. Am 9. Febr. 1713 war der Vertrag von den Schützenmeistern und den Vertretern der Vierziger unterzeichnet worden.

Das 1715 fertiggestellte neue Armenhaus lag also außerhalb der Stadtmauer vor dem Ostertor am offenen Stadtgraben. Den Schutz der Stadtmauer hielt man zur Zeit des Umzuges nicht mehr für notwendig. Die Stadtbefestigung hatte sich bereits im Dreißigjährigen Krieg als untauglich erwiesen und wurde mehr schlecht als recht gepflegt. Entsprechend war ihr baulicher Zustand. Es ist typisch für die damalige Zeit, daß die Hospitäler am Stadtgraben lagen. Es mag etwas mit Ausgrenzung zu tun haben, war aber wegen der Hygiene unerläßlich.

Der Umzug in das neue Armenhaus fand am 26. Juni 1715 in Gegenwart der Prediger, d. h. des Stifts- und Stadtpredigers, sowie der Schützenmeister, der Scheffer, des Armenprovisors und der Vertreter der Stadtverwaltung statt. Vor dem Umzug verlas und erklärte ein Vertreter der Stadtverwaltung die Hausordnung.

Folgende Anordnungen waren zu beachten:

  1. Betstunden und Predigten dürfen nicht versäumt werden.
  2. Der Armenvogt hält morgens und abends Betstunde.
  3. Der Kirchgang findet unter Aufsicht des Armenvogtes statt. “Hospitalleute”, die während des Gottesdienstes einschlafen, sind vom Armenvogt zu wecken.
  4. Treiben Jugendliche während des Gottesdienstes Unfug auf dem Kirchplatz, dann hat der Armenvogt sie in Güte zurechtzuweisen. Nutzt das nichts, dann soll der Vogt zum Stock greifen. Um dem Unfug Jugendlicher vorzubeugen, wird dem Armenvogt aufgegeben, täglich dreimal durch die Straßen zu gehen, um nach dem Rechten zu schauen.
  5. Nur der Magistrat weist Bedürftige in das Armenhaus ein.
  6. Die Eingewiesenen dürfen ihre Kammern nicht tauschen, es sei denn, der Armenvogt ist einverstanden.
  7. Die Armen sollen sich “ehrlich, aufrichtig und gottgefällig” verhalten.
  8. Ist das nicht der Fall, dann hat der Armenvogt den Vorfall dem Magistrat anzuzeigen.
  9. Im Todesfall fällt der Nachlaß an das Hospital. Der Magistrat verpflichtet sich, den Toten seinem Stande gemäß zu beläuten und zu bestatten.

Nachdem die Hausordnung verlesen worden war, verpflichteten sich der Armenvogt und die “Hospitalleute”, die Hausordnung zu befolgen. Es waren der Armenvogt Ernst Lüdeking mit seiner Frau und den Kindern, die Familie Delbrügge, die Witwen Siebe und Feger, die Witwe Jobst Feger, die Witwe Holle mit ihren Kindern sowie Gertrud Witting mit den Knaben Lose und Nordsiek.

Versorgung der “Hospitalleute” und der Armen

Zum Stiftungsgut des Hospitals gehörte eine Kapitalausstattung. Sie bestand aus Zinseinkünften sowie Pachterträgen aus Grundstücken und Häusern, die aus religiösen Beweggründen dem Hospital zugewiesen worden waren. Die Verwendung richtete sich nach den Bestimmungen der Stifter. Die bisher älteste bekannte Geldausszahlung an die “sieben armen im geiste” stammt aus dem Jahre 1634. “Uf Simper”, am 18. Januar, erhielt jeder Arme im Hl.-Geist-Hospital 9 Groschen. Die Stiftung ist in den städtischen Abrechnungen nicht näher bezeichnet. “Uf Simper” bezeichnet den Semproniustag, einen städtischen Festtag.

Zum Hospital gehörte auch die notwendige landwirtschaftliche Ausstattung. Das Hospital oder auch Armenhaus sollte sich mit Lebensmitteln möglichst selbst versorgen. Die arbeitsfähigen Insassen, Kinder inbegriffen, waren gehalten, in der Landwirtschaft mitzuarbeiten. Außerdem wurden sie zu Hausarbeiten herangezogen. Dazu gehörten Spinnen und Weben. Diese seit den Gründungsjahren bekannte Versorgungsform fand erst im 20. Jahrhundert ihr endgültiges Ende. Reste bestanden noch in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg.

Eine totale Selbstversorgung wurde nie erreicht. Das Hospitalwesen erforderte ständig neue Entscheidungen der Armenkommission, denn neben den “Hospitalleuten” waren weitere verarmte Personen zu versorgen, die keinen familiären Rückhalt hatten oder die nur zeitweise für ihren Lebensunterhalt aufkommen konnten. Sie hatten irgendwo in einer Scheune oder einem Hinterhaus Unterschlupf gefunden, gingen Gelegenheitsarbeiten nach oder hatten sich trotz Verbotes aufs Betteln verlegt. Es gab zwar mit zunehmendem staatlichen Dirigismus in der brandenburg-preußischen Zeit übergeordnete behördliche Vorgaben. Die städtische Selbstverwaltung des Armenwesens blieb vorerst unangetastet.

Die große und die kleine Armenkasse

Im 18. Jahrhundert wurde zwischen der großen und der kleinen Armenkasse unterschieden. Die große Armenkasse war die seit Jahrhunderten überlieferte. Die kleine Armenkasse war aufgrund eines königlichen Erlasses von 1725 gegründet worden. Im Jahre 1815 war Senator Bahre Rendant der großen Armenkasse, während Diakon Frese die kleine betreute.

Die Einnahmen der großen Armenkasse bestanden aus:

  1. Almosen, die von der Domäne Reineberg aufgebracht wurden,
  2. Einkünften aus verpachteten Grundstücken des Armenstocks,
  3. Zinseinkünften aus verschiedenen Stiftungen.

Die zum Armenfonds der großen Armenkasse gehörenden Immobilien lassen sich gelegentlich durch Aktenhinweise näher bestimmen. Dazu gehörte die “Armenwiese” im Norderbruch auf der Rauhen Horst, die 1784 im Konkursverfahren der Grappendorfschen Güter erwähnt wird. Sie war bisher von den “Grappendorfschen Erben und der großen Armen-Casse gemeinschaftlich” genutzt worden, d.h. die Pachtgelder waren zwischen der Familie v. Grappendorf bzw. ihren Rechtsnachfolgern und dem Armenfonds geteilt worden. Offenbar handelt es sich bei der Wiese um eine Armenstiftung der Familie v. Grappendorf oder ihres Vorgängers, des Rittergeschlechtes v. Lübbecke.

Im Jahre 1786 wurde die “Armenwiese” im Losverfahren geteilt. Der eine Teil wurde zur Grappendorfschen Konkursmasse geschlagen, der andere blieb bei der großen Armenkasse. Nach der Markenteilung und Festlegung der Gemeindegrenzen gehörte die “Armenwiese”, wie sie allgemein noch genannt wurde, zur Gemarkung Alswede. Als die Pläne für den Bau des Mittellandkanals auf dem Tisch lagen, gehörte die “Armenwiese” mit den Wiesen des Lübbecker Schulkollegiums zu denjenigen Grundstücken, die der Fiskus für den Bau des Kanals beanspruchte. Am 2. Aug. 1910 verkaufte der Magistrat die “Armenwiese” und die Wiesen des Schulkollegiums an die Königliche Kanalbaudirektion Hannover.

Im Jahre 1802 gehörten folgende Grundstücke zur großen Armenkasse:

  1. Drei Gärten auf dem Weingarten,
  2. ein Garten an der Landwehr,
  3. der Siechengarten des früheren Leprosenhauses,
  4. der ehemalige Doedingsche Garten,
  5. zwei Scheffelsaat Land,
  6. ein Garten an der Tappernat [entspricht heute dem Areal der Volksbank],
  7. der Gartenzins des Bürgers Wix.

Aus der großen Armenkasse wurde die Bekleidung der Currendaner bezahlt, wobei das Haus Obernfelde einen Beitrag leistete. An hohen Festtagen erhielten ausgewählte Familien Fleisch und Brot im Rathaus ausgehändigt, bezahlt aus der großen Armenkasse. Aus dieser Kasse wurden auch die Ausgaben für die Armensärge und das Schulgeld der Currendaner und anderer Kinder aus verarmten Familien bestritten. Aus der kleinen Armenkasse erhielten verarmte Personen und Familien an jedem Mittwoch Unterstützungsgelder. Hinzu kamen je nach Bedarf wechselnde Ausgaben. So waren 1794 Reinigungskosten für den Schornstein im Armenhaus fällig. Armenvogt Ufelmann hatte die große Stube gekalkt. Der Kalk war mit 2 Groschen zu Buche geschlagen. Buchbinder Viet hatte 3 Gesangbücher und 3 biblische “Historien Bücher” geliefert. Buchbinder Husemann hatte 11 Katechismen, ein biblisches “Historien Buch” und eine Bibel in Rechnung gestellt. Weißgerber Schulze hatte für einen Currendaner eine lederne Hose angefertigt. Die Schuster Koopmann und Reinhard hatten Reparaturarbeiten ausgeführt und neue Schuhe angefertigt. Die Bauern Löhr und Bollmeyer hatten dem Senator und Armenprovisor Höpker die Lieferung mehrerer Fuder Torf für das Armenhaus in Rechnung gestellt.

Zu den Einnahmen der großen Armenkasse gehörte 1802 neben den bereits aufgeführten Einnahmen eine Legatsverpflichtung des Bürgerhauses Marmelstein. Hinzu kamen außerordentliche Zuwendungen des Magistrats, von denen ein großer Teil aus Anteilen an verkauften Grundstücken und Häusern stammte. Weitere Einkünfte waren unregelmäßige Armenspenden. Davon stammte ein bescheidener Teil aus den in den Wirtshäusern ausgehängten Armenbüchsen.

Den Einnahmen standen für das Rechnungsjahr 1802 erhebliche Ausgaben gegenüber. Rechnungen waren zu begleichen wie die des Maurermeisters Jahrmann, der das Dach des Armenhauses repariert hatte. Küper Meyrahn hatte einen Eimer für das Armenhaus geliefert. Schneider-, Schuhmacher- und Schusterrechnungen mußten beglichen werden. Der Kuhlengräber und der Sargtischler verlangten ihren Lohn. Verarmte Wöchnerinnen waren zu versorgen. Rechnungen für Schulgeld, Schulbücher und Schreibutensilien mußten bezahlt werden.

Das Vermögen der großen Armenkasse war nicht unbedeutend. Bei der Vermögensaufstellung vom Jahre 1802 belief sich die Summe der ausgeliehenen Kapitalien auf 2165 Rtlr (Reichstaler) 14 Gr (Groschen) 11 Pf (Pfennig) in Goldmünzen und 1899 Rtlr 19 Gr 5 Pf in Silbermünzen. Der Höchstsatz der Verzinsung betrug 5%. Zu den Schuldnern der großen Armenkasse gehörten neben den Bürgern und einigen wenigen Bauern die Lübbecker Kirche und die Kämmerei. Als Sicherheiten sind vor allem Gärten und Ackerstücke aufgeführt.

Die Einnahmen der kleinen Armenkasse bestanden aus den sonntäglichen Klingelbeutelgeldern, den wöchentlichen Haussammlungen und der Verpachtung eines Gartens.

Zur kleinen Armenkasse bemerkte der Armenprovisor Barre am 5. Juli 1748, daß die aufgrund des königlichen Ediktes eingeführten wöchentlichen Sammlungen in den Anfangsjahren 5 Rtlr und mehr eingebracht hätten. Die Einnahmen der Kollekte seien aber mehr und mehr zurückgegangen. Sie brächten z.Z. kaum 2 Rtlr ein. Zur großen Armenkasse stellte der Provisor fest, daß sie seit “undenklichen Jahren” bestehe, aus alten Kapitalien und Legaten zusammengesetzt sei und vor 18 Jahren 166 Rtlr 17 Mgr (Mariengroschen) 6 Pf eingebracht hätte. Es wäre ein Kapitalüberschuß vorhanden gewesen, den man wieder angelegt habe, so daß jetzt ein Zinsertrag von 206 Rtlr zur Verfügung stehe.

Die sogenannten “Hausarmen” wurden um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus der großen Armenkasse versorgt. Seit wann so verfahren wurde, ist nicht bekannt. Es waren zu dieser Zeit vornehmlich Kinder, die in Familien untergebracht waren. Im übrigen gab es folgende Versorgungsregeln:

  1. Jedes Jahr erhalten die “Haus- und Geist Armen” und der Armenvogt neue Schuhe.
  2. Die Currendaner, d.h. die im Armenhaus wohnenden Knaben, und der Armenvogt werden jedes Jahr neu eingekleidet.
  3. An den 4 hohen Festtagen, d.h. zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Michaeli (29. Sept.), erhalten alle Armen Rindfleisch und Brot zugeteilt.
  4. Schulgeld, Bücher und Papier für die Currendaner und andere arme Kinder , sei es, daß sie zu den “Hausarmen” gerechnet werden oder bei verarmten Eltern leben, werden aus dem Fonds der Armengelder bezahlt.
  5. Die Armenkasse bezahlt die Krankengelder.
  6. Die Insassen des Armenhauses und ihr Vogt erhalten etwas Geld aus den wöchentlichen Kollekten.
  7. Das Feuermaterial für das Armenhaus wird von den Armengeldern bezahlt.

Die getrennten Abrechnungen der großen und kleinen Armenkasse wurden bis 1820 beibehalten. Um das umständliche Abrechnungsverfahren zu vereinfachen, verfügte die Regierung am 23. März 1820 die Vereinigung der großen und kleinen Armenkasse. Diakon Rahning, Verwalter der kleinen Kasse, wurde am 23. März vom Landrat angewiesen, die Erträge des Armenstocks und die Hauskollekten dem Armenkassenrendanten Bahre zuzuführen.

Außerordentliche Zuwendungen

Gelegentlich erhielt das Armenhaus Zuwendungen aus kirchengerichtlichen Strafgeldern. So auch im Jahre 1714. Damals war der Ehebruch des Jobst Friedrich Rahe bekannt geworden. Das übliche Getuschel erreichte über eifrige Zuträger die Ohren der Prediger und Diakone. Die Regierung Minden erhielt einen Bericht mit der Forderung nach einer empfindlichen Strafe. Bei der damaligen kirchenrechtlichen Situation in Lübbecke ist davon auszugehen, daß in diesem Falle die Geistliche Kommission tätig geworden war. Sie nahm die Kompetenzen eines Kirchengerichts wahr, das über den Lebenswandel der Bürgerinnen und Bürger wachte. Die Regierung Minden bestätigte eine Strafe von 12 Rtlr, die Rahe als Buße an das Armenhaus zu zahlen hatte.

Am 24. Mai 1717 erließen “Ritterschaft, Bürgermeister und Rat” eine neue Brauordnung. Vorausgegangen waren Beschwerden über die nur mäßige Qualität des Lübbecker Bieres. Zwölf Bierbrauer waren in der Stadt zugelassen. Die Bierbrauerei wurde gewöhnlich von den Bäckermeistern ausgeübt. Bevor das Bier in den Verkauf kam, erschienen Beauftragte der städtischen Verwaltung zu einem Probetrunk. Gab es Beanstandungen oder gar nachträgliche Beschwerden, dann waren Strafen von einer Geldbuße bis zum Lizenzentzug fällig. Dazu ist in der Brauordnung von 1717 zu lesen: “Sollte einer auch so malitieus (boshaft) seyn, daß er nach der Probe gutes Bier verfälschete; So soll das Bier confisciret, denen Hausarmen, nebst denen Armen im Geiste, gegeben, ihm aber das Brauen so fort gäntzlich verbothen werden”. In einem solchen Falle wurden also die Bewohner des Hl.-Geist-Hospitals und die Hausarmen, wie sie auf den Stiftshöfen, in den Burgmannshöfen und gelegentlich in Bürgerhäusern anzutreffen waren, mit minderwertigem Bier versorgt.

Hin und wieder gab es unerwartete Fleischzuteilungen, die das Armenhaus den Lübbecker Schützenmeistern und deren Helfern, den Scheffern, zu verdanken hatte. Sie kontrollierten die Lübbecker Weidegründe. Die Anzahl des einzutreibenden Viehes war vorgeschrieben. Schweine, Kühe, Schafe, was immer an Vieh einzutreiben erlaubt war, konnte konfisziert werden, wenn die vorgeschriebene Anzahl überschritten war. Das überzählige Vieh wurde entweder versteigert oder, wenn sich kein Bieter fand, öffentlich geschlachtet und verkauft. Vorrang hatte hier das Armenhaus, dem eine Fleischration zugebilligt werden mußte.

Das Armenhaus am Ostertor war 1828 abbruchreif. Es wurde im April 1829 versteigert, weil es den Besuchern der Stadt einen “unangenehmen Prospekt” bot, wie es in einem Aktenvermerk heißt. An seiner Stelle wurde das Hotel Reineberg errichtet, das nach einer wechselvollen Geschichte den Besuchern heute einen “schönen Prospekt” bietet. Es liegt dem Parkplatz am Gänsemarkt gegenüber, steht unter Denkmalschutz und beherbergt Rechtsanwälte und Steuerberater.

 

Lübbecke, 2. Januar 2007

Autor: Stadtarchivar Helmut Hüffmann, Illustration vom Verfasser 

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