Unter preußischer Verwaltung waren die Gemeindeverwaltungen gehalten, der Regierung Monatsberichte über den allgemeinen Zustand ihrer Amtsbezirke vorzulegen, wobei ein bestimmter Fragenkatalog zu beachten war. Bis zu seiner Entlassung aus dem Verwaltungsdienst im Jahre 1827 hatte Bürgermeister Sigismund Kind für den Verwaltungsbezirk Lübbecke, zu dem auch das Amt Gehlenbeck gehörte, die Aufgabe der Berichterstattung übernommen. Neben den üblichen Nachrichten über Baumaßnahmen sowie Handel und Gewerbe findet man in Kinds Berichten immer wieder Anmerkungen zur Landwirtschaft. So auch in den Berichten zum Jahre 1826. Die Landwirtschaftsberichte waren für die Regierung von großem Interesse. Mißernten infolge schlechter Wetterbedingungen konnten sich zu einer wirtschaftlichen und finanziellen Katastrophe auswachsen. Versuche der Regierung, hier regulierend einzugreifen, hatten sich bisher als wenig erfolgreich erwiesen.
Der Mai des Jahres 1826 war, was die Landwirtschaft betraf, nach Kinds Bericht zufriedenstellend verlaufen. Die Wintertage und das stürmische Frühjahrswetter waren vergessen. Das Hornvieh und die Schweine waren auf die Weiden getrieben, wo sie ausreichend mit Nahrung versorgt wurden. Die Obstbäume standen in voller Blüte. Besonders die blühenden Mandel- und Pfirsichbäume waren eine Augenweide. Einen herrlichen Anblick boten die Bohnenbäume (Goldregen). Die erblühte Landschaft hatte jedoch ein Problem, und das waren die in Äcker und Gärten einbrechende Wildschweine. Die Borstentiere hatten es im besonderen auf die Kartoffelfelder abgesehen. Kind konnte in seinem Bericht genugtuend vermerken, das 13 dieser Felddiebe erlegt worden waren.Ein weiterer Abschnitt in Kinds Bericht befaßt sich mit dem Straßenbau. Der Bohlenweg, Teil der späteren Bohlenstraße, sollte auf Drängen der Regierung zu einer Chaussee ausgebaut werden. Die Steine zur Festigung des Unterbaues waren bereits angefahren. Manches Fuhrwerk war hier schon im Morast steckengeblieben.
Ärger gab es bei den innerstädtischen Straßen. Steinweg und Köttelbeke (heute Teil der Bäckerstraße) mußten neu gepflastert werden zum Ärger der Anlieger, die anteilige Kosten befürchteten. Die baulichen Maßnahmen in Gehlenbeck und Frotheim machten nach Kinds Bericht Fortschritte. In Gehlenbeck war das Haus des Kantors mit einliegendem Schulraum bereits in Bau, während in Frotheim das Bauvorhaben zum Schulneubau stockte, weil es im Gemeinderat zu Unstimmigkeiten gekommen war. Beiden Schulgemeinden war gemeinsam, daß ihr Schulräume in einem desolaten Zustand waren. Auch die Nettelstedter Kapelle war in einem unbefriedigenden baulichen Zustand. „Die gefahrvolle Beschaffenheit“ des baufälligen Giebels war nach Kinds Worten beseitigt worden.
In Lübbecke hatte man die Bürgerschule am Kirchplatz wegen Baufälligkeit schon seit Jahren aufgeben müssen. Schulklassen waren im Rathaus und in Privaträumen untergebracht. Zahlreiche Bürger waren damit zufrieden und sabotierten, soweit es ihre Möglichkeiten zuließen, einen Schulneubau, der ihrer Meinung nach nur unnötige Kosten verursachen würde. Bürgermeister Kind tat alles, um der Bürgerschaft einen Schulneubau schmackhaft zu machen.
Den Bürgermeister plagten noch andere Sorgen, und das war die Trunksucht, wie sie vor allem in der „geringen Bürgerklasse“ verbreitet war. Kind war kein Befürworter radikaler Abstinenz. Die Lübbecker Bierbrauer sollten seiner Meinung nach ihrem Gebräu zu einer besseren Qualität verhelfen, dann, so Kind, wäre der Bierkrug eher zur Hand als die Branntweinflasche.
In seinem Bericht vom 28. Juli 1826, weiß Kind Amüsantes aus dem medizinischen Bereich zu berichten. Im benachbarten Osnabrücker Land war der Verzehr von großen Bohnen untersagt worden. Der Wurmbefall bei diesem Gartengemüse könnte, so die Osnabrücker Gesundheitsbehörde, pestartige Übelkeit hervorrufen. Kind hielt die im benachbarten Territorium ergriffenen Maßnahmen für übertrieben. Seiner Meinung nach, sollte man sich nicht verrückt machen lassen. Im übrigen waren nach Kinds Angaben die Fitzebohen, Gurken und anderes Gemüse vorzüglich gediehen.
Dem Monatsbericht hatte der Stadtsekretär einen kleinen Handzettel angeheftet, der an Lübbecker Bürger verteilt worden war. Ein Hühneraugenoperateur, der für kurze Zeit in Lübbbecke logierte und aus Saarlouis angereist war, warb um Aufmerksamkeit. Der Operateur ließ die Leidenden wissen, daß er Hühneraugen, Nägel und Frostbeulen ohne die geringsten Schmerzen ausschneiden und ausbrennen könne. Besagter Operateur machte sich auch als Kammerjäger nützlich und versprach, den Bestand an Ratten zu dezimieren. Hierbei wurde er von der Stadtverwaltung tatkräftig unterstüzt. Die Rattenjagd verlief erfolgreich, hatte jedoch ihre Tücken. Um die „krepierten Ratten“ wegzuschaffen, mußten in den Häusern die Fußbodendielen angehoben werden. Hierbei war es in den Dörfern zu Unfällen gekommen, da die Dielen in den Bauernhäusern gewöhnlich unbefestigt auf den Tragebalken lagen. Unfälle waren zu beklagen. Bei der Rattenjagd in Nettelstedt war eine „Frauensperson“ durch ein herabstürzende Diele verletzt worden.
Lübbecke, 22. Januar 2007