Am 31. Juli 1985 erschien in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ein Leserbrief von G. Rhode. Der Brief enthielt korrigierende und ergänzende Anmerkungen zu einem Artikel von F. K. Fromme, der am 29. Juni des Jahres unter dem Titel "Erlöst und beinahe befreit" erschienen war. Fromme hatte sich in seinem Artikel mit der schwierigen Lage derjenigen Flüchtlinge und Bewohner in dem Teil der heutigen DDR befaßt, der 1945 einmal von den Amerikanern und Briten besetzt gewesen war. Rhode berichtete in seinem Brief über ein persönliches Erlebnis, über seine Flucht mit Frau und Tochter von Breslau über Salzwedel in der Altmark ins Hannoversche. Bevor er mit Frau und Tochter von Salzwedel aufbrechen wollte, hatte er das Glück, beim britischen Stadtkommandanten vorgelassen zu werden. Rhode wollte wissen, ob die Altmark von den Briten besetzt gehalten würde. Der Offizier sagte: "Wir werden schon deshalb hierbleiben, weil dies Gebiet ja einmal zum Königreich Hannover gehört hat und weil Großbritannien gegenüber Hannover besondere Verpflichtungen hat". Mit anderen Worten: Hannover wurde als Kerngebiet der britischen Zone angesehen. Nur - die Altmark hatte nie zu Hannover gehört. Rhode zog den richtigen Schluss aus der Unterredung und setzte sich mit seiner Familie ab. Eine tiefe Enttäuschung blieb den Einwohnern des hannoverschen Amtes Neuhaus auf der ostelbischen Seite nicht erspart. Die EIbe wurde Grenzfluss zwischen der britischen und der sowjetischen Zone. Die britische Zone mit den amerikanischen Enklaven Bremen und Bremerhaven umfasste neben den ehemaligen Provinzen Hannover, Schleswig-Holstein und Westfalen einen Teil der Rheinprovinz bis zu einer Linie südlich Bonns, darüber hinaus Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe, Lippe und die Freie und Hansestadt Hamburg. Das entsprach den Festlegungen des Protokolls der Londoner Konferenz vom 12.9.1944.
Wo die britische Kontrollkommission ihren Sitz nahm, darüber erfährt man in der Literatur wenig Genaues, und häufig gar nichts. Man fragt sich: Wo war der Behördenapparat der Kommission zusammengezogen, der den Berg von Verwaltungsarbeit zu erledigen hatte? Welche Folgen ergaben sich für die deutschen Bürger, die im Kommissionsbereich wohnten? Für die britische Zone gibt Walter Först in der von ihm verfaßten "Geschichte Nordrhein- Westfalens" den Hinweis, dass sich das Zonenhauptquartier in einer Gruppe von kleinen dichtbenachbarten Städten Westfalens befand, hauptsächlich in Herford, Minden, Lübbecke und Bünde [1]. Först meint, dies ginge z. T. auf Zufall zurück. Dass die Londoner Regierung den puren Zufall mitspielen ließ, erscheint wenig glaubwürdig. Diese Frage und weitere Einzelheiten dürften sich klären, wenn die britischen Quellen zur Besatzungszeit in Deutschland vollständig erschlossen sind [2].
Zu der Frage, wo sich die britische Zonenhauptverwaltung befand, erschien in der "Neuen Westfälischen" (Ausgabe Lübbecke) am 3. Juli 1985 der Nachdruck eines Artikels, der 1945 in der Lagerzeitung des Gefangenenlagers Brevik (Südnorwegen) zu lesen war. Der Verfasser war Mitarbeiter des "Daily Herald". In dem Artikel heißt es: "Lübbecke, ein wunderliches altes Städtchen, inmitten der anmutigen Hügel des Wiehengebirges gelegen, wird vorübergehend die Hauptstadt des britisch besetzten Gebietes in Deutschland [...]. Es liegt weder an einer Hauptbahn - nur eine eingleisige Nebenlinie führt nach dort - noch an einem bedeutenden Straßenknotenpunkt. Die Nachrichtenverhältnisse sind dürftig; es gibt kein Telefonamt. Als ich dies dem Hauptmann [gegenüber], der den Vortrupp der Kommission führt, erwähnte, sagte er: "Die eingleisige Bahnlinie stört uns nicht. und ein Fernsprechamt wird uns die Armee errichten. Wir wählten diese Stadt, weil sie günstig inmitten der britischen Zone liegt. Die Kommission hat in engem Zusammenwirken mit der Besatzungsmacht zu arbeiten, und wir sind nur 15 Meilen Luftlinie vom Hauptquartier der 21. Armeegruppe entfernt [Bad Oeynhausen]". Natürlich ist Lübbecke nur vorübergehend Hauptstadt. Für das gesamte Personal der Kommission von mehr als 8.000 Mann würde es nie ausreichen.
Abb. 1: Hauptquartier in Bad Oeynhausen 1953 (Stadtarchiv Bad Oeynhausen, B II 18)Der ausquartierte Teil der Bevölkerung ist nahe der Stadt in einem Nazi-Arbeitslager untergebracht, das besonders dafür hergerichtet wurde. Wie man mir erzählte, räumten die Leute bereitwillig ihre Wohnungen, als man ihnen versicherte, dass es nur für 3 Monate sei. Das ständige Hauptquartier der britischen Kommission wird voraussichtlich nach Bielefeld gelegt. Bis die Kommission dort einzieht, wird das Finanzamtsgebäude von Lübbecke, wo sie ihr gegenwärtiges Hauptbüro eingerichtet hat, das Nervenzentrum eines großen Teils Deutschlands bilden. Sir William Strang, der politische Berater Montgomerys, beabsichtigt, in der Stadt zu wohnen, während sich Feldmarschall Montgomery selber im Hauptquartier der 21. Armeegruppe in Bad Oeynhausen aufhalten wird". Zur Armeegruppe gehörten die 2. britische Armee, die 1. kanadische Armee und Teile der 9. US-Armee [3].
Die Kommission verlegte ihren Hauptsitz nicht nach Bielefeld, verteilte jedoch ihre Abteilungen auf verschiedene Städte, so auf Minden, Detmold, Bad Oeynhausen, Bünde und Herford. Weitere Abteilungen waren in Berlin (Abt. Heer) und in Hamburg (Abt. Landwirtschaft und Forstwirtschaft). In Bünde befanden sich drei Abteilungen, unter ihnen die Abteilung "Politik" mit der Gruppe "Öffentlichkeitsarbeit". Die entscheidende Abteilung "Legal Division" (Rechtswesen) befand sich in Lübbecke [4]. Das dürfte der Grund dafür sein, dass Lübbecke von britischer Seite als Hauptquartier der Kommission angesehen wurde.
Die Aussage des britischen Reporters, dass die Leute bereitwillig ihre Wohnungen verließen, entspricht natürlich nicht den Tatsachen. Es gab auch kein größeres Nazi-Arbeitslager, wenn man von Lahde an der Weser einmal absieht. Hier handelt es sich um ein Konzentrationslager. Vielleicht hatte der Korrespondent des "Daily Herald" davon gehört.
Ende März, Anfang April 1945 überschlugen sich die Ereignisse in Lübbecke. Der ehemalige Lübbecker Kreisleiter Ernst Meiring [5] hatte die Verteidigung der Stadt angeordnet und Panzersperren an den Zufahrtsstraßen errichten lassen - ein sinnloses und gefährliches Unterfangen. Die Sperren waren derart primitiv, dass sie kein ernsthaftes Hindernis sein konnten. Ein Anschlag des Volkssturmes und der Einsatz von Panzerfäusten wären einer Katastrophe gleichgekommen. In Levern, dem alten Stiftsdorf, hatte man sich auf ein solches Abenteuer einlassen müssen. Ein Trupp deutscher Soldaten befolgte den Befehl zur Verteidigung. Das Dorf wurde zusammengeschossen, Gehöfte gingen in Flammen auf, und Tote waren auf beiden Seiten zu beklagen [6].
Am. 30. März hatten sich in Lübbecke die Ratsherren unter dem Vorsitz des Beigeordneten Eduard Gerlach im Sitzungssaal des Rathauses zusammengefunden und den einstimmigen Beschluss gefasst, die Stadt kampflos zu übergeben [7]. Die Panzersperren wurden zur Seite geräumt. Der Kreisleiter hatte sich inzwischen aus dem Staube gemacht und blieb auch während der Zeit, als die örtlich führenden Nationalsozialisten interniert waren, von der Bildfläche verschwunden. Am 3. April war die Stadt besetzt und unter Militärrecht gestellt. Am 6. April erließ die örtliche amerikanische Militärbehörde über den Landrat folgende Anordnung: "Die Einwohner dürfen die öffentlichen Straßen und Plätze nur von 7 bis 9 Uhr und von 17 bis 18 Uhr betreten. Die Verdunkelung wird beibehalten". - Nach der Kapitulation wurde die Anordnung zur Verdunkelung aufgehoben. Die Ausgangssperre wurde nach und nach den Erfordernissen angepasst und schließlich abgeschafft. Trotz einiger willkommener Freizügigkeiten tauchten Probleme auf, die die Lübbecker in einem solchen Maße nicht erwartet hatten [8].
Am 30. April, jetzt unter britischer Militärverwaltung, ordnete der Landrat auf Befehl der Militärregierung an, dass alle Güter und Gegenstände, die aus Wehrmachtsbeständen und anderen Lagern entwendet worden waren, innerhalb von 3 Tagen an örtliche Sammelstellen zurückzugeben seien. - Zurückgegeben wurde so gut wie nichts. Es lag nur wenige Tage zurück, als ein Schuhlager an der Alsweder Straße in einem ehemaligen Eisenwarengeschäft von Erwachsenen und Kindern geplündert worden war. Die Briten hatten versucht, sich verständlich zu machen - ohne Erfolg. Sie schossen in die Luft. Die Plünderer blieben unbeeindruckt. Am nächsten Tag begann sich ein lebhafter Tauschhandel zu entwickeln. Aus Versehen hatten die Plünderer zwei linke oder zwei rechte Schuhe mitgehen lassen oder sie hatten zwei verschiedene Schuhgrößen erwischt. Etwa zur gleichen Zeit wurde im Kanalbereich des Amtes Gehlenbeck ein Schiff total ausgeplündert. Sogar die Wandbekleidung war abmontiert worden. Kapitäne anliegender Schiffe versuchten, die Plünderung zu verhindern. Als sie bedroht wurden, zogen sie sich zurück. Solche Szenen waren nicht neu. In den letzten Kriegstagen war ein Schiff mit Waschmitteln an Bord, das im Lübbecker Hafen lag, total ausgeräumt worden.
Die ersten Maitage sollten in Lübbecke eine entscheidende Wende einleiten. Der Stadtchronist vermerkte, dass der Bürgermeister täglich die Befehle der Besatzungsmacht entgegenzunehmen habe, schweigt sich jedoch über die Art der Befehle aus. Die ersten Räumungsbefehle (accomodation demands) zur Beschlagnahmung privater Häuser mussten zugestellt werden. Die Wohnraumbeschaffung für die eingesessene Bevölkerung nahm dramatische Formen an. Die eingesessene Zivilbevölkerung betrug etwa 7.000 Personen. Hinzu kamen rund 3.000 Evakuierte und Flüchtlinge. In den Randlagen der Stadt wurde der letzte, noch einigerrmaßen intakte Wohnraum genutzt. Dachböden wurden zu Wohnquartieren umfunktioniert. Schlafgelegenheiten wurden in Kellerräumen eingerichtet. Auf Bänken und in Liegestühlen wurde geschlafen. Da in einigen Dach- oder Kellerwohnungen gesundheitliche Schäden bei Kleinkindern nicht auszuschließen waren, griff die Besatzungsmacht einige Male ordnend ein.
Lübbecke war in drei Räumungszonen eingeteilt. Die Anordnung besagte, dass in der ersten Zone am und im Altstadtbereich nur Lübbecker wohnen durften, die, sei es als Geschäftsleute oder Beamte, an den Ort direkt gebunden waren. Ähnliche Bevorzugungen gab es in den beiden anderen Zonenbereichen. Trafen bestimmte Kriterien nicht zu, so mussten die betroffenen Personen oder Familien mit zugewiesenem Wohnraum in den anliegenden Dörfern vorliebnehmen. Alle Evakuierten hatten, falls sie nicht bei Verwandten oder Freunden unterkommen konnten, die Stadt zu verlassen und in ihre Heimatorte zurückzukehren, was bei den Betroffenen neue Probleme aufwarf. Manch einer wusste nicht einmal genau, ob sein Haus in der zerbombten Heimatstadt überhaupt bewohnbar war oder, falls noch die Steine aufeinanderstanden, nicht andere Bewohner dort ein Zuhause gefunden hatten. Manche unangenehme Überraschung stand noch ins Haus. In Lübbecke wurden die angekündigten Transporte für die Evakuierten zusammengestellt, britische und deutsche Lastwagen und Omnibusse zur Verfügung gestellt. Evakuierte aus der sowjetisch besetzten Zone wurden im Kreisgebiet untergebracht. Ostflüchtlinge sollten nicht mehr aufgenommen werden. Es war die Absicht der Besatzungsmacht, die Wohnungsnot für die ortsansässige Bevölkerung nicht zu verschlimmern.
Die Lübbecker schenkten den Versicherungen, dass es sich bei den Räumungen nur um eine kurzfristige Maßnahme handele, keinen Glauben. Diejenigen Bürger, die als erste von einer Beschlagnahme ihres Hauses betroffen waren, erhielten genaue Anweisung, welche persönlichen Gegenstände als lebensnotwendig angesehen wurden und daher mitgenommen werden durften. Wertvolle, von der Besatzungsmacht nicht benötigte Möbelstücke wurden in einem Raum abgestellt, der anschließend versiegelt wurde. Alle übrigen Gegenstände wie Möbelstücke und Hausrat wurden im Beisein eines Militärs inventarisiert. Die Hausschlüssel waren abzugeben, die Zahl der Schlüssel war jedoch nicht zu kontrollieren. Überraschungen für die Briten waren nicht auszuschließen. In Nacht- und Nebelaktionen verschafften sich ehemalige Bewohner Zugang zu ihren Häusern, um verheimlichte Möbelstücke herauszuholen oder Töpfe und Bettwäsche zu vertauschen. Wer nur mit der Möglichkeit rechnete, dass sein Haus beschlagnahmt werden könnte, versuchte zu nächtlicher Stunde, wertvolle Stücke zu entfernter wohnenden Freunden oder Verwandten zu schaffen. Mancher britische Offizier stand plötzlich vor einem ramponierten Haushalt, den er anders in Erinnerung hatte. Es sollte nur wenige Tage dauern, und dem Bürgermeister gingen die ersten Befehle zu, dafür zu sorgen, dass bestimmte Haushalte von den Eigentümern oder Mietern wieder in den alten Zustand zu versetzen seien. Teppiche, Waschmaschinen, vor allem elektrische mit Schleudervorrichtung, Bett- und Tischwäsche mussten zurückgegeben werden. Plötzliche Hausrazzien sorgten für den nötigen Nachdruck.
Zu den sofort beschlagnahmten Gebäuden gehörte die "Gauschulungsburg", südlich der Stadt am Waldrand gelegen. Die "Schulungsburg" für den Gaubereich Westfalen-Nord war am 11. Juni 1939 mit dem für die Nationalsozialisten üblichen Getöse und Gepränge eingeweiht worden. Gauleiter Meyer, ein enger Freund des Lübbecker Kreisleiters Meiring, war erschienen. In der Stadtchronik wird berichtet, dass er jubelnd begrüßt wurde. In seiner Ansprache habe er mit den Anfeindungen und Forderungen der "Demokraten" abgerechnet. Meyer sah in der "Schulungsburg" einen dauerhaften Garanten und steinernen Ausdruck der nationalsozialistischen "Weltanschauung". Aus der Hand des Lübbecker Bürgermeisters Dr. Becker erhielt er den Ehrenbürgerbrief der Stadt.
Einige Jahre später gegen Ende des Krieges war die "Waffen-SS Leibstandarte Adolf Hitler" in den Räumen der "Schulungsburg" und in den örtlichen Schulen untergebracht. Im März 1945 wurde sie abgezogen. Einen Monat später war die "Schulungsburg" britische Offiziersmesse. Dem steinernen Adler an der nördlichen Außenmauer wurde das Hakenkreuz unter den Krallen weggehauen. So ist der Adler noch heute zu sehen. Die Briten sprachen gegenüber der Stadtverwaltung häufig von der "Gauleiter's School". Die Hinweistafel verwies auf die "Officers' Mess" [9].
Abb. 2: Gauschulungsburg in Lübbecke 1939 (Stadtarchiv Lübbecke)Beschlagnahmt wurde sofort das anfangs erwähnte Finanzamtsgebäude an der Kaiserstraße, vormals Hermann-Göring-Straße. Der großzügige Verwaltungsbau wurde Hauptsitz der Zonenverwaltung. Für das Gebäude setzte sich der englische Ausdruck "Tax House" (= Finanzamt) schnell durch. Er war alles andere als bezeichnend, sprach sich aber gut, und jeder wusste, welches Gebäude gemeint war. Später nach Abzug der Zonenverwaltung und Übernahme des Gebäudes durch einen britischen Militärstab blieb die Bezeichnung im Sprachgebrauch. Erst die Übernahme des Gebäudes durch die deutsche Justiz im November 1987 ließ den Ausdruck zur Reminiszenz werden [10].
Mitte Mai 1945 waren alle öffentlichen Gebäude beschlagnahmt, dazu Fabrikgebäude und Schulen. Zur Freude der Kinder standen ausgedehnte Ferien ins Haus. Beschlagnahmt wurde das Hotel Holland-Moritz am Westerwall, während das Deutsche Haus an der Langen Straße weitgehend verschont blieb. Deutsche Gäste der Briten wie Bankdirektor Dr. Abs wurden hier auf Kosten der Stadtkasse untergebracht. Abs traf am 1. August 1945 in Lübbecke ein, um mit der Finanzverwaltung der Kontrollkommission im Haus Osnabrücker Str. 25 Verhandlungen zu führen.
Beschlagnahmt war auch das Postgebäude. Nach mehreren Umzügen konnte ein geregelter Brief- und Paketverkehr im Haus Kappelmann, Lange Straße 9, am 1. Juli 1945 wieder aufgenommen werden. Das beschlagnahmte Reichspostgebäude war 1903 auf der Westseite der Stadt an der Osnabrücker Straße errichtet worden. Auch die danebenliegende Kreissparkasse war beschlagnahmt. Ihr Schalterraum bot geradezu ideale Ausmaße für einen Messeraum.
Bis Ende Mai waren neben den öffentlichen Gebäuden, einem Hotel, Gaststätten, Pensionen und Fabrikgebäuden über 250 Privathäuser beschlagnahmt. Die Nutzung war der Hierarchie angepasst. Der Eindruck täuschte nicht, dass die Hanglage der Stadt den Ausschlag gab. Oben in der "Gauleiter's School" waren die höchsten Ränge anzutreffen. Die mittleren Ränge trafen sich in den Messen Am Hollensiek, Osnabrücker Straße und am Niederwall. Die gewöhnlichen Soldaten waren in der Jahn-Mittelschule, von den Briten auch "John-Middle-School" genannt, untergebracht. Auf dem Schulhof waren die damals häufig im Stadtbild anzutreffenden Nissenhütten [11] aufgestellt. Hier waren Küche, Magazin und auch Mannschaftsunterkünfte untergebracht. Die Turnhalle der Schule war häufig Tanzlokal und im weitesten Sinne Begegnungszentrum. Trotz Fraternisierungsverbots ging es im Souterrain der Messen oft hoch her. Der Kontrast konnte nicht schärfer sein. Auf der einen Seite hungernde und frierende Menschen, Flüchtlingsströme auf den Straßen, auf der anderen Seite vergnügte Parties. Manche BDM-Maid, die noch vor wenigen Monaten für "Glaube und Schönheit" [12] über die Straßen marschiert war und Keulen schwingend vor der "Schulungsburg" zu sehen war, sank in die Arme eines britischen Soldaten. Zurückgekehrte deutsche Kriegsgefangene mochten ob des plötzlichen Sinneswandels ihren Augen nicht trauen.
Beschlagnahmt war auch das einzige Lübbecker Kino, das Bürgerpark-Theater. Ein Ersatzkino für Deutsche gab es nicht. Das Kino an der Niedernstraße wurde von den Briten in "Windmill-Theatre" umgetauft und erhielt am Eingang Bäckerstraße über dem Zugangspavillon zwei metallene Windmühlenflügel. Das kleine Lichtspielhaus sollte an das bekannte Londoner Revuetheater erinnern. Waren im Lübbecker Lichtspielhaus noch vor wenigen Monaten Belanglosigkeiten wie "Wenn die Sonne wieder scheint" zu sehen gewesen, so rollte jetzt die Unterhaltungswelle hauptsächlich US-amerikanischer Machart.
Am 20. Juni waren alle beschlagnahmten Häuser von der Besatzungsmacht bezogen, ein ganzes Stadtgebiet war mit Stacheldraht umzäunt [13]. Die Kommission hatte ihre Arbeit aufgenommen. Während der Mittagspause und nach Büroschluss glaubte man sich in die "rush-hour" einer britischen Großstadt versetzt. Die engen Straßen im Sperrbezirk, vor allem der Pettenpohl und die Kaiserstraße, waren voll von Menschen, die zu den Messen eilten. Neben den Militärs waren die Zivilisten nicht zu übersehen, unter ihnen Familienangehörige britischer Offiziere. Das Erscheinungsbild der Engländerinnen fand nicht gerade bewundernde Zustimmung von deutscher Seite. Es wurde als zu farbenfroh eingestuft. Das Erscheinungsbild der deutschen Frau erschien der Gegenseite als zu blass und kontinental-hausbacken. Die hausfraulichen Talente der deutschen Frau wurden von den Briten schnell geschätzt. Besonders beliebt waren die deutschen Kinderfrauen. Die Trümmerfrauen in den zerbombten deutschen Großstädten forderten ohnehin die allgemeine Achtung heraus. Mancher Brite revidierte sein Vorstellungsbild über Deutschland. Presse und Film hatten erstaunliche und zählebige Vorurteile und Vorbehalte geschaffen.
Ein erstes Aufeinanderzugehen deutete sich im britisch-deutschen Club an, der regelmäßig im Hotel Holland-Moritz zusammenkam. Vorträge, Aussprachen und Diskussionen gaben den deutschen Teilnehmern einen ersten Einblick in eine demokratisch geführte Gesprächsrunde und ihre Spielregeln. Es war eine bescheidene Keimzelle für künftige Demokratie und Toleranz. Ansätze alter Parteitraditionen machten sich bemerkbar. Ihre demokratische Einbindung in die parlamentarischen Gremien der Stadt wurde wie auch anderswo von britischer Seite überwacht. Als Persönlichkeit ist vor allem Major How zu nennen, der an vielen Sitzungen persönlich teilnahm [14]. Da eine weitgehend informierende Presse nicht vorhanden war, blieben die ersten Übungen in Demokratie von der Öffentlichkeit unbeachtet. Im alltäglichen Leben waren jetzt praktischer Sinn und eine gute Portion Egoismus gefragt. Darauf hatten sich die meisten eingestellt. Um in einer Zeit des täglichen Mangels und der Unsicherheit überleben zu können, bot die britische Besatzung trotz all ihrer Nachteile für die Einheimischen eine Reihe von Vorteilen, die schnell erkannt und genutzt wurden.
Im Sperrgebiet waren Kolonnen von deutschen Angestellten beschäftigt, von der Putzfrau bis zur Serviererin, vom Elektriker bis zum Kraftfahrer. Die deutsche Wirtschaft lag danieder, bei den britischen Dienststellen gab es mehr als genug Arbeit. Das Arbeitsklima war angenehm. Überarbeiten konnte sich niemand. Arbeitsstellen in einer Küche oder Kantine waren besonders begehrt. Hier boten sich ungeahnte Möglichkeiten, sich selbst sowie Familie und Freunde über die Runden zu bringen. Auf oft unerklärter Weise gelangten Kaffee, Tee, Corned Beef, Margarine, Seife und Zigaretten in deutsche Haushalte und in den Tauschhandel. Es war die Zeit der Zigarettenwährung. Eins war den Angestellten bei den Briten sicher: Sie würden nie zu den Kippensuchern gehören, die, den Blick fest auf den Rinnstein gerichtet, auf den Straßen anzutreffen waren.
Hielt ein Jeep der Militärpolizei vor einem Privathaus, dann brauchte man nicht lange nach dem Grund zu suchen, besonders wenn bekannt wurde, dass der Besuch einer Person galt, die beim "Tommy" in der Küche arbeitete. Interessiert verfolgten deutsche Beobachter eine solche Razzia. Die Person, die abgeführt wurde, war weniger von Interesse als die Kartons mit Lebensmitteln, die von der Militärpolizei aus den durchsuchten Wohnungen geschleppt wurden. Trotz solcher Vorkommnisse hielt die Anziehungskraft der Fleischtöpfe der Armee unvermindert an. Unliebsame Konkurrenz wurde, falls es irgendwie einzurichten war, zur Seite gedrängt. Entsprechend wurde auf den Bürgermeister eingewirkt. Dieser wurde bei der Militärkommandantur am 1. August mit einem Gesuch vorstellig, in dem es hieß: "In order to give inhabitants of Lübbecke a fair chance to start working I herewith propose that evacuees should not be employed by British authorities in future, if this place can be taken over by inhabitants of Lübbecke" [15].
Begehrt waren Köche für die Offiziersmessen. Der Koch sollte möglichst ein Franzose sein, wenn das nicht möglich war, ein Holländer. Den deutschen Kochkünsten wurde nicht allzuviel Vertrauen geschenkt. So verlangte der Stadtkommandant im Juli vom Lübbecker Arbeitsamt, ihm schnell eine neue Köchin zu schicken. Mit der ersten Köchin war er zufrieden gewesen, hatte sie jedoch an die Offiziersmesse in der "Kreisschulungsburg" [16] abgeben müssen. Die neue Köchin hatte Ungenießbares zusammengebrutzelt. Nun wird der Gaumen eines Soldaten nicht gerade verwöhnt gewesen sein, und die zahlreichen Militärküchen brachten auch nichts Außergewöhnliches hervor. Für Arbeitsamt und Stadtverwaltung war es oft mehr als schwer, den Wünschen der Besatzungsmacht zu entsprechen. Hätte man nur einen Franzosen ausfindig machen können, der wenigstens halbwegs gut kochen konnte, dann wäre das Problem vom Tisch gewesen. Schon das Ansehen eines Franzosen oder Holländers hätte genügt, um die Militärs zufriedenzustellen.
Die Messen der höheren Chargen stellten die Stadtverwaltung oft vor nahezu unlösbare Probleme. Am 9. Juli flatterte dem Bürgermeister der Befehl auf den Tisch, für den Haushalt eines hochrangigen Offiziers in der Villa Blase folgende Bekleidungsstücke zu besorgen: 8 weiße Dienerjacken, 8 blauweiß gestreifte Dienerjacken,8 blaue Dienerhosen. Welcher hohe Besuch sich angesagt hatte, wurde nicht bekannt. Die gewünschten Artikel zu bekommen, war nur dann ein lösbares Problem, wenn über gute Beziehungen verfügt wurde. Tausch war ein anderes Mittel, und hier waren der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Die ersten Tauschzentralen begannen sich zu etablieren, die bis zur Währungsreform für das Alltagsleben unentbehrlich waren.
Abb.3: Gut Benkhausen 1914 (Stadtarchiv Lübbecke)Besondere Probleme bereitete das von der Besatzungsmacht bezogene Gut Benkhausen, das zum "Headquarters" gerechnet wurde [17]. Zeitweilig war hier Feldmarschall Montgomery zu Gast. Einige Befehle an die Lübbecker Stadtverwaltung konnten ohne Schwierigkeiten in die Tat umgesetzt werden. So wurde der Park in Ordnung gebracht und ein Tennisplatz angelegt. Schwierig wurde es, wenn Tafelsilber, Tisch- und Bettwäsche, Handtücher und Polstermöbel angefordert wurden. Die Haushalte der ehemaligen örtlichen NS-Prominenz wurden als erste kontrolliert und gewünschte Gegenstände wurden, falls vorhanden, beschlagnahmt. Als die Besatzungsmacht für Benkhausen 5 Tonnen Anthrazitkohle verlangte, war dies ein Problem, das alle Kräfte beanspruchte, um gelöst zu werden. Es sollte jedoch nicht lange dauern, bis in Lübbecke gegenüber dem Bahnhof ein britisches Kohlenlager angelegt wurde. Der Mangel an Brennmaterial zwang viele Lübbecker, bei der Stadtverwaltung um Zuweisung eines Torfplatzes im Isenstedter Moor nachzusuchen. Im Sommer des Jahres war das Moorgebiet nördlich der Stadt von hunderten von Menschen bevölkert, die sich hier als Torfstecher versuchten.
Als die Briten ein Tanzorchester anforderten, ergaben sich neue Schwierigkeiten. Kein Musiker hätte sich gesträubt, in einer Kapelle für die Besatzungsmacht zu spielen. Etwas Besseres konnte ihm als "Otto Normalverbraucher" gar nicht passieren. Die Aussicht auf einen "Brandy", Zigaretten und ein gutes Essen war attraktiv genug. Die Schwierigkeit lag in diesem Fall woanders. Ein regional bekannter "leader" stand zwar zur Verfügung, musste aber wegen gesundheitlicher Schäden, die ihm in der Kriegsgefangenschaft zugefügt worden waren, eine vorläufige Ruhepause einlegen. Ende Juli war die ersehnte Tanzkapelle da, unter Leitung des Musikers Schadow. Ein großer Ballabend fand in der Turnhalle der Mittelschule statt.
Nachdem die "Gauschulungsburg" von einem "Schauplatz bedeutsamer politischer Schulungsarbeit" (Westfälische Neueste Nachrichten, 12. Nov. 1942) in eine Offiziersmesse verwandelt worden war, wurde auch der Sportplatz an der Obernfelder Allee, die ehemalige "Alfred-Meyer-Kampfbahn" [18] von der Besatzungsmacht beschlagnahmt, um hier einen Kricketplatz anzulegen. Die "Kampfbahn" befand sich in keinem guten Zustand. Da sie in den letzten Kriegsjahren nur wenig und unregelmäßig genutzt worden war, hatte die Stadtverwaltung die Grasflächen verpachtet. Die Pächter hatten Kleinvieh in ihren Ställen, so dass jede verfügbare Grasfläche genutzt werden musste. Mit der privaten Nutzung war es Ende Mai vorbei. Arbeitskräfte rückten heran, um das Unkraut zu entfernen, Maulwurfshügel einzuebnen und mit der Sense Gras zu mähen.
Abgesehen von zwei Feuerlöschteichen und einem Betriebsschwimmbad der Zigarrenfabrik Blase, gab es in der Stadt kein Schwimmbad. Die Bademöglichkeiten am Mittellandkanal hatten völlig ausgereicht. Hier war von den Briten ein Sperrgebiet eingerichtet worden. Die Badefreuden der Armee sollten von den Deutschen nicht gestört werden. Immerhin bestand noch das Fraternisierungsverbot. Nur zu schnell stellte sich heraus, dass die Einrichtung eines Sperrgebietes am Kanal unsinnig gewesen war. Als die ukrainischen Zwangsarbeiter noch in Lübbecke und auf den umliegenden Bauernhöfen untergebracht waren, hatte es am Kanal getrennte Badefreuden gegeben, ohne dass Sperrzonen ausgewiesen waren. Als die Briten anrückten, entstand in wenigen Wochen ein buntes Gemisch. Ungestörte Badefreuden waren möglich, denn gesprengte Brücken blockierten jeglichen Schiffsverkehr. Die Schmutzstoffe im Wasser waren zu Boden gesunken. Das Wasser war klar, so klar, dass man die fortgeworfenen Panzerfäuste und die von fliehenden deutschen Soldaten fortgeworfene Munition auf dem Grund sehen konnte. Wen störte das schon? Wer wies auf die Gefahren hin, die hier lauerten? Manchem, der hier am Kanal ein paar schöne Sommertage genoss, waren in anderen Situationen die Fetzen um die Ohren geflogen. Zwischen den zusammengebrochenen Brücken bot sich das trügerische Bild einer Idylle.
Nur eine kurze Wegstrecke von den Badenden entfernt, ging es alles andere als friedlich zu. In der Stadtchronik heißt es: "Eine Gefahr bilden die zurückgebliebenen russischen Kriegsgefangenen, die in Lägern und Läden und in den Landwirtschaften stehlen und plündern. Mit Genehmigung der Besatzungsbehörde wird eine Hilfspolizei (Stärke 36 Mann) aufgemacht." Dem Stadtchronisten, Oberinspektor Berndt, ist hier offensichtlich ein Fehler unterlaufen. Die russischen Kriegsgefangenen waren bereits abtransportiert, geblieben waren die Zwangsarbeiter, im Amtsdeutsch "Ostarbeiter" genannt. Dass geplündert wurde, steht außer Frage. Es gab aber auch Fälle - und es waren nicht wenige -, dass sich ehemalige Zwangsarbeiter den Plünderern, häufig den eigenen Landsleuten, entgegenstellten. Zwischen den bäuerlichen Familien und den ihnen zugewiesenen Arbeitern hatte sich im Laufe des Arbeitsverhältnisses ein vertrautes Miteinander entwickelt, dass jetzt seine positive Wirkung zeigte. In diesen Familien kam Besorgnis auf, als es hieß, dass die Zwangsarbeiter in ihre Heimatländer zurückgebracht werden sollten, und das hieß für die Ukrainer Rückkehr in das vom stalinistischen Terror beherrschte Russland.
Die möglichen Auswirkungen des Stalinterrors wurden von den meisten richtig eingeschätzt. Eine Mitteilung des Landrates an die Amtsbürgermeister des Kreises Lübbecke vom 24. April 1945 leitete eine Aktion ein, deren Folgen erst spät in das öffentliche Bewußtsein dringen sollten. Der Landrat teilte mit: "Es ist eine Aktion in die Wege geleitet, sämtliche Polen und Russen, die nicht im Arbeitsverhältnis stehen, in das Auffanglager Osnabrück abzuschieben [...]. Wo sich Widerstand zeigt oder bewaffnete Russen sich finden, wird die Militärbehörde einschreiten". Am 4. Mai wollte die Militärregierung wissen, wie viele Russen und Polen sich noch in Lübbecke aufhielten. Die ersten Transporte waren bereits zusammengestellt.
Unter den Ausländern in Lübbecke, die in ihre Heimatländer zurückkehrten, befanden sich Holländer, Belgier, Franzosen und Italiener. Mit den Italienern hatte es seine besondere Bewandtnis. Sie wurden offiziell als Kriegsgefangene geführt [19]. Unter ihnen befanden sich Offiziere, die in Lübbecke als Badoglio-Offiziere bekannt geworden waren. Sie hatten die Regierung unter Marschall Badoglio unterstützt, die nach der Verhaftung Mussolinis mit den Westalliierten am 3. Sept. 1943 einen Waffenstillstand abgeschlossen hatte. Offiziere und Mannschaften wurden von den Deutschen gefangengesetzt und nach Deutschland transportiert. Einige Offiziere und rangtiefere Militärs waren in Lübbecke interniert. Die Offiziere waren im Saal des Hotels "Deutsches Haus" untergebracht. Sie konnten sich im Stadtgebiet frei bewegen und führten ein relativ ungebundenes Leben. Die eleganten Herren in Uniform erregten im tristen Stadtbild der Kriegszeit einiges Aufsehen. Es muss für sie demütigend gewesen sein - und das lag sicher in der Absicht der deutschen Regierung -, dass sie als Arbeiter in der Zigarrenfabrik Blase und in der Kammgarnspinnerei eingesetzt wurden.
Ein von der Militärbehörde streng observiertes Objekt war das Textilhaus AIbersmeyer in Alswede. Hier waren bedeutende deutsche Naturwissenschaftler interniert. Das Haus Albersmeyer war ähnlich Benkhausen erstaunlich modern eingerichtet, genügte also den damals gestellten Ansprüchen. Es lag in der Nähe von Benkhausen und des dortigen Militärstabes sowie in unmittelbarer Nähe zu Lübbecke. In Alswede waren die Einwohner stolz darauf, so berühmte Leute wie O. Hahn [20], C.F. v. Weizsäcker, W. Heisenberg und M. v. Laue beherbergen zu dürfen. Einige der Internierten waren vorher in "Farm Hall" in England interniert gewesen.
Etwas verwundert mag sich mancher Bauer und mancher Bürger die Augen gerieben haben, als er eines Tages sah, dass südlich des Stockhauser Busches kurz vor dem Ortseingang Lübbecke eine Rollbahn ausgelegt wurde. In wenigen Tagen entstand ein kleiner Flugplatz, groß genug, um kleinen Kuriermaschinen Start- und Landemöglichkeiten zu bieten.
Die Wohnungsnot bestand 1948 unvermindert fort, obwohl mit dem Bau von Häusern für die Besatzungsmacht begonnen wurde. An der Andreasstraße entstand 1949 ein Neubaukomplex, der von den Lübbeckern "Klein-London" genannt wurde. Hier wurde auch die sowjetische Militärkommission eingewiesen, bevor sie nach Bünde verlegt wurde [21]. Die Russen sorgten auf ihre Weise für Aufsehen. Das Grundstück wurde mit einer hochgestellten Zeltbahn umgeben, um so vor neugierigen Blicken sicher sein zu können.
In Bad Oeynhausen und in Herford bestanden 1947 Notgemeinschaften der evakuierten Bürger, die späteren Notgemeinschaften der Besatzungsgeschädigten. Sie traten an Lübbecker Bürger heran mit der Bitte, sich ihnen anzuschließen. In Lübbecke nahm vorläufig der Haus- und Grundbesitzerverein die Interessen der Besatzungsgeschädigten wahr. Als Bundeskanzler Adenauer am 8. Februar 1950 in Bad Oeynhausen weilte, um sich über die Nöte der Besatzungsverdrängten zu informieren, war auch eine Delegation der Stadtverwaltung Lübbecke anwesend.
Abb. 4: Verabschiedung vom Hauptquartier Dez. 1982 (Stadtarchiv Lübbecke)Dieser warf die Lübbecker Notgemeinschaft später vor, nicht genug für sie erreicht bzw. getan zu haben. Es sollte nur wenige Monate dauern, bis die ersten von der Besatzungsmacht nicht mehr genutzten Häuser von deutscher Seite besetzt wurden. Eine Aussicht auf Freigabe schien nicht zu bestehen, denn nach Abzug der Zonenverwaltung waren Armee-Einheiten eingewiesen worden.
1951 waren von den ursprünglich beschlagnahmten 250 Häusern etwa 100 wieder freigegeben. Nach Bad Oeynhausen war Lübbecke die am stärksten betroffene Stadt in der ehemaligen britischen Zone. Es waren noch 11,6 % aller Häuser - von 1.415 Häusern insgesamt - beschlagnahmt [22]. Im Juni des Jahres war in Lübbecke ein Schweigemarsch als Protestaktion geplant. Davon wurde wieder Abstand genommen, als sich Deutsche und Briten bereit erklärten, in Zukunft auch unter einem Dach wohnen zu wollen. Mit Wirkung vom 1. Juli 1957 war die Notgemeinschaft der Besatzungsgeschädigten aufgelöst. Sie betrachtete ihr Ziel als erreicht. Zu dieser Zeit waren nur noch 7 Häuser beschlagnahmt.
Lübbecke, 3. September 2004