Stadt Lübbecke

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Weg der Erinnerung

Lübbecke gedenkt des Schicksals seiner jüdischen Bevölkerung in der dunkelsten Stunde der deutschen Geschichte

Schulzeit unter dem Hakenkreuz

Ein kurzer Ausblick auf den „Weg der Erinnerung“ am 9. November 2022

In den 1920er bis 1940er Jahren waren viele Eltern und Lehrkräfte bei der Erziehung der Kinder sehr streng. Körperliche Züchtigungen gehörten deshalb für viele Kinder zum Alltag. Sie sollten früh lernen, sich möglichst keine Schmerzen anmerken zu lassen. Ein Leitspruch der NS-Zeit lautete daher auch: „Deutsche Jugend soll zäh wie Leder, flink wie Windhunde und hart wie Krupp-Stahl sein!“

Manche Lehrer und Lehrerinnen verzichteten zwar auf Schläge als Bestrafung und versuchten, die Kinder zu Demokraten zu erziehen und sie zu individuell zu fördern. Aber spätestens ab Anfang 1933 war der nationalsozialistische Erziehungsstil darauf ausgelegt, die Jungen auf das harte Soldatenleben und die Mädchen auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter vorzubereiten.

Ab 1936 wurden dann alle Lehrer und Lehrerinnen aus dem Schuldienst entlassen, die dem NS-Staat kritisch gegenüberstanden und ihm nicht die Treue geschworen hatten. Außerdem wurden fast alle Lehrkräfte Mitglieder des NS-Lehrerbundes und trugen die Ideologie der Nazis in die Schule. Gemeinsame Schulveranstaltungen und ideologisch stark eingefärbte Unterrichtsthemen waren üblich. Zwischen Ende Januar 1933 und Mai 1945 hing in fast jedem Klassenraum ein Foto Adolf Hitlers, auf vielen Schulen wehte die Hakenkreuzflagge und der „Deutsche Gruß“, umgangssprachlich als „Hitler-Gruß“ bezeichnet, gehörte zur Pflicht.

Dass eine vermeintliche Kleinigkeit wie die Verweigerung des „Hitler-Grußes“ verheerende Konsequenzen haben konnte, musste z. B. die Familie Kusserow, damals wohnhaft in Bad Lippspringe, erfahren. Die Familie gehörte den „Ernsten Bibelforschern“ an, heute bekannt als „Zeugen Jehovas“. Ihrer religiösen Überzeugung folgend, weigerten die Familienmitglieder und ihre Glaubensbrüder und -schwestern sich unter anderem, den „Hitler-Gruß“ zu verwenden und den Dienst an der Waffe zu leisten. Sie wurden deshalb von der NSDAP als „Volksfeinde“ betrachtet, verhaftet, in Gefängnisse oder Konzentrationslager gebracht und etliche sogar ermordet.

Um Eltern und Kinder aus solchen Familien besser beeinflussen zu können, veranlasste der NS-Staat in vielen Fällen die Unterbringung der Minderjährigen in Heimen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV). Eines dieser Heime befand sich in Nettelstedt. Auch drei Kinder der Familie Kusserow sollten dort im NS-Sinne umerzogen werden. Ihre Erlebnisse werden beim diesjährigen „Weg der Erinnerung“ ebenso geschildert wie die Erinnerungen der damals letzten jüdischen Schülerin in Lübbecke, Lore Weinberg.

Damals gab es in Lübbecke nicht nur die staatlichen Schulen, sondern auch eine kleine jüdische Elementarschule, ähnlich einer heutigen Grundschule. Auch sie unterstand der staatlichen Schulaufsicht. An der Elementarschule unterrichtete der jüdische Lehrer und Kantor, Max Lazarus. Die letzten jüdischen Schulkinder in Lübbecke waren Helmut Bloch, Ernst Neustädter und Lore Weinberg. Die beiden Jungen erhielten in den ersten Schuljahren noch Unterricht von Max Lazarus, ehe sie an die öffentliche Schule wechselten. Lore Weinberg besuchte zwar seit der 1. Klasse die öffentliche Schule, erhielt aber noch Religionsunterricht in der Synagoge. Mit dem Reichsschulpflichtgesetz von 1938 wurden jüdische Kinder im Deutschen Reich dann gänzlich vom Besuch öffentlicher Schulen ausgeschlossen, sofern sie die acht Jahre dauernde Volksschule bereits abgeschlossen hatten.

Was haben Kinder damals empfunden, wie die zunehmenden Einschränkungen, Repressalien und Bedrohungen verkraftet? Wie wurden auch alle anderen Lebensbereiche der Kinder durch die nationalsozialistische Weltanschauung beeinflusst? Welchen Einfluss hatten die HJ und der BDM, durch den in der NS-Zeit fast alle Kinder auch in die Organisationen der NSDAP eingebunden waren?

Der diesjährige „Weg der Erinnerung“ zeigt anhand der Beispiele aus Lübbecke, wie sich die Situation im Leben der Kinder zuspitzte. Die Veranstaltung wird gestaltet von Schülerinnen und Schülern der Stadtschule, des Wittekind-Gymnasiums und des Berufskollegs. Sie beginnt am 9. November 2022 um 16 Uhr im Berufskolleg an der Rahdener Straße. Der gemeinsame Weg führt dann über den ehemaligen Schulhof der Jahn-Realschule zum Platz der Synagoge.


Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Lübbecke und der "Weg der Erinnerung"

Quellen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Lübbecke führen bis ins Mittelalter zurück. Steinernes Zeugnis ist der sogenannte "Peststein" am Nordportal der heute evangelischen St.-Andreas-Kirche. Er verweist auf die Erweiterung der Kirche bis 1350 sowie auf die damals herrschenden Zeitumstände (Pest, Geißler, Judenpogrom).

Später gab es über Jahrhunderte hinweg häufig ein harmonisches Zusammenleben zwischen Christen und Juden in der Stadt.
1932 gehörten der jüdischen Gemeinde Lübbecke noch etwa 40 Gemeindeglieder an. Im Frühjahr 1938 war die Zahl durch Sterbefälle und Wegzüge um etwa 10 Personen gesunken. Nach dem Novemberpogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, bei dem mehrere Wohnhäuser jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger zerstört wurden und die Synagoge niederbrannte, sank die Zahl weiter. Letzte Zwangsverkäufe („Arisierungen“), Umzüge Lübbecker Jüdinnen und Juden innerhalb Deutschlands und Fluchten ins Ausland fallen in diese Zeit. Spätestens Anfang 1942 galt Lübbecke nach damaligem Sprachgebrauch als „judenrein“.

1961 wurde ein Gedenkstein am „Platz der Synagoge“ eingeweiht. Eine intensive Erinnerungskultur und damit die Aufarbeitung der Gräuel der NS-Zeit setzte jedoch erst zögerlich ein. So engagierte sich beispielsweise der DGB mit jährlichen Kranzniederlegungen am Gedenkstein. Im Zuge der Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus gründete sich Mitte der 1980er Jahre die Arbeitsgemeinschaft „Geschichte der Juden in Lübbecke“. Mit personeller und finanzieller Unterstützung der Stadt Lübbecke entstanden mehrere Publikationen über die Geschichte und das Schicksal der hiesigen jüdischen Gemeinde. Auch fanden auf Einladung der Stadtverwaltung Treffen ehemaliger jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger bzw. derer Nachkommen in Lübbecke statt. In ihrem Beisein konnte 1986 vor dem Gedenkstein noch eine Bodenplatte mit den Namen der betroffenen jüdischen Familien eingeweiht werden.

Es entwickelte sich das Anliegen der Bevölkerung, jährlich am 9. November in einer Gedenkveranstaltung an die Opfer des NS-Terrors zu erinnern. Diese inzwischen als „Weg der Erinnerung“ bekannte Veranstaltung unter Federführung der Stadt Lübbecke bindet heute neben dem DGB u. a. auch die Stadtheimatpflege, die Ev.-luth. und die Kath. Kirchengemeinde der Kernstadt und die weiterführenden Schulen ein.

Das Thema für den jährlichen „Weg der Erinnerung“ wird im gemeinsamen Vorbereitungskreis festgelegt und von den beteiligten Schulklassen vorbereitet. Die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema erfolgt dabei unter archivpädagogischer Betreuung durch das Stadtarchiv. Dadurch wird den beteiligten Schülerinnen und Schülern ein persönlicher Zugang zu dieser erschütternden Zeit der deutschen Geschichte und der Lokalgeschichte ermöglicht. Zudem kann vermittelt werden, welche Chancen eine aktive Einbindung in die gesellschaftlichen Belange und eine mündige Bürgerschaft bieten. So greift der „Weg der Erinnerung“ das auf, was die Bodenplatte am „Platz der Synagoge“ fordert.

Neben dem Gedenkstein, der Bodenplatte und dem „Weg der Erinnerung“ gibt es in Lübbecke über das Stadtarchiv und die Angebote von Lübbecke Marketing noch weitere Angebote, sich mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde Lübbecke und der NS-Zeit auseinanderzusetzen.

Kontakt

Frau Christel Droste »
Dezernat 1 | Hauptverwaltung
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Fax: 05741 276111
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