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Weg der Erinnerung

Lübbecke gedenkt des Schicksals seiner jüdischen Bevölkerung in der dunkelsten Stunde der deutschen Geschichte.

Das Rathaus in Zeiten von Schutz und Schutzhaft: Weg der Erinnerung im Jubiläumsjahr 2025

Im Jahr des 1.250-jährigen Stadtjubiläums nimmt der „Weg der Erinnerung“ das Verhalten der Stadtverwaltung in den vergangenen Jahrhunderten in den Blick. Die Gedenkveranstaltung beginnt am 9. November um 15 Uhr im Großen Sitzungssaal des Lübbecker Rathauses und führt von da aus weiter über den Marktplatz zum Platz der Synagoge. Schülerinnen und Schüler der Stadtschule, des Wittekind-Gymnasiums und des Berufskollegs tragen dabei vor, was sie erarbeitet haben.

In vielen Veranstaltungen wurde 2025 bereits daran erinnert, dass der Ort Lübbecke erstmals zum Jahre 775 Erwähnung fand. 1250 Jahre liegt das demnach bereits zurück und das ist wirklich ein Grund zum Feiern. Aber es ist auch ein Grund, einmal inne zu halten und einzelne Ereignisse aus dieser langen Zeitspanne kritisch zu hinterfragen.

So verlieh der Mindener Bischof Volquin von Schwalenberg dem Ort Lübbecke im Jahre 1279 das Stadtrecht. Seitdem sollen Bürgermeister und Rat dafür sorgen, dass die Menschen in Lübbecke sicher wohnen, unbeschwert miteinander leben und wirtschaftlich tätig sein können.

Menschen jüdischen Glaubens erhielten in den Städten jedoch lange kein Bürgerrecht. Es war christlichen Gläubigen vorbehalten, die noch dazu bei der Aufnahme ein Bürgergeld bezahlen mussten. Da Menschen jüdischen Glaubens im Mittelalter oft als rechtlose und schutzlose Fremde und Ungläubige galten, nahm Kaiser Heinrich IV. sie im Reichslandfrieden von 1104 unter seinen persönlichen Schutz. Sie wurden zu „Schutzjuden“. Wie Mönche, Geistliche, Frauen und Mädchen durften Juden allerdings seitdem – anders als jeder freie Mann damals – keine Waffe mehr tragen. Stattdessen mussten sie sich auf den Schutz durch die kaiserlichen Truppen verlassen. Sie konnten sich – die nötigen finanziellen Mittel vorausgesetzt – einen so genannten „Schutz-“ oder „Geleitbrief“ kaufen. Das blieb über Jahrhunderte so, zumal der Kaiser das Recht, „Juden zu halten“, auf weltliche oder geistliche Fürsten übertragen konnte.

Auch in Lübbecke lebte und arbeitete spätestens seit 1350 eine kleine jüdische Gemeinde. Der sogenannte „Peststein“ an der St.-Andreas-Kirche erinnert an deren Schicksal: Im Jahr der Pest, als die meisten Menschen das nahe Ende der Welt befürchteten und dennoch die Erweiterung der Kirche beenden konnten, wurden die Mitglieder der hiesigen jüdischen Gemeinde ermordet. Die Stadt war ihrer Verpflichtung, alle Teile der Bevölkerung zu schützen, nicht nachgekommen.

Im Laufe der Zeit kam es aber auch mehrfach dazu, dass die Stadt Lübbecke sich konsequent für die jüdische Bevölkerung einsetzte und sie schützte. Es gab Zeiten des harmonischen Miteinanders und der tatsächlichen Gleichberechtigung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger. Das zeigte sich im vertrauensvollen Umgang miteinander. Man engagierte sich gemeinsam in der Lokalpolitik, in Vereinen und ergänzte sich im Wirtschaftsleben.

Doch dann kamen erneut Zeiten, in denen die Stadtverwaltung sich an die Verpflichtung, alle Menschen in Lübbecke zu schützen, nicht hielt, sondern sie sogar bewusst schädigte und gefährdete. Das wird besonders beim Blick auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 deutlich. Aus dem Schutz wurde – nicht nur für Menschen jüdischen Glaubens, sondern für Unzählige, die nicht der NS-Ideologie entsprachen, sondern anders dachte, lebten, glaubten – eine Schutzhaft. Die Inhaftierungen erfolgten unter dem Vorwand, die Verhafteten vor dem angeblich gegen sie gerichteten „Volkszorn“ zu schützen. Die Wahrheit sah anders aus: Der NS-Staat schaltete dadurch mögliche Gegenspieler aus. Die „Schutzhaft“ war Ausdruck staatlicher Willkür. „Rassistisch“, politisch und sozial Unerwünschte waren dadurch in Wirklichkeit den Repressalien des NS-Staates schutzlos ausgeliefert.

Wie sah es damals in Lübbecke aus und wie verhielt sich die Stadtverwaltung? War sie ebenfalls in dieses Gefüge verstrickt oder gelang es ihr, Verfolgte zu schützen? Wie äußerte sich der damalige Bürgermeister Ernst Meiring, der zugleich Kreisleiter der NSDAP war? Was geschah in den Standesämtern, bei Wahlen und der Zusammensetzung des Rates?

Diesen und weiteren Fragen geht der diesjährige „Weg der Erinnerung“ nach. Der Vorbereitungskreis lädt herzlich zur Teilnahme ein.

Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Lübbecke und der "Weg der Erinnerung"

Quellen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Lübbecke führen bis ins Mittelalter zurück. Steinernes Zeugnis ist der sogenannte "Peststein" am Nordportal der heute evangelischen St.-Andreas-Kirche. Er verweist auf die Erweiterung der Kirche bis 1350 sowie auf die damals herrschenden Zeitumstände (Pest, Geißler, Judenpogrom).

Später gab es über Jahrhunderte hinweg häufig ein harmonisches Zusammenleben zwischen Christen und Juden in der Stadt. 1932 gehörten der jüdischen Gemeinde Lübbecke noch etwa 40 Gemeindeglieder an. Im Frühjahr 1938 war die Zahl durch Sterbefälle und Wegzüge um etwa 10 Personen gesunken. Nach dem Novemberpogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, bei dem mehrere Wohnhäuser jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger zerstört wurden und die Synagoge niederbrannte, sank die Zahl weiter. Letzte Zwangsverkäufe („Arisierungen“), Umzüge Lübbecker Jüdinnen und Juden innerhalb Deutschlands und Fluchten ins Ausland fallen in diese Zeit. Spätestens Anfang 1942 galt Lübbecke nach damaligem Sprachgebrauch als „judenrein“.

1961 wurde ein Gedenkstein am „Platz der Synagoge“ eingeweiht. Eine intensive Erinnerungskultur und damit die Aufarbeitung der Gräuel der NS-Zeit setzte jedoch erst zögerlich ein. So engagierte sich beispielsweise der DGB mit jährlichen Kranzniederlegungen am Gedenkstein. Im Zuge der Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus gründete sich Mitte der 1980er Jahre die Arbeitsgemeinschaft „Geschichte der Juden in Lübbecke“.

Mit personeller und finanzieller Unterstützung der Stadt Lübbecke entstanden mehrere Publikationen über die Geschichte und das Schicksal der hiesigen jüdischen Gemeinde. Auch fanden auf Einladung der Stadtverwaltung Treffen ehemaliger jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger bzw. derer Nachkommen in Lübbecke statt. In ihrem Beisein konnte 1986 vor dem Gedenkstein noch eine Bodenplatte mit den Namen der betroffenen jüdischen Familien eingeweiht werden.

Es entwickelte sich das Anliegen der Bevölkerung, jährlich am 9. November in einer Gedenkveranstaltung an die Opfer des NS-Terrors zu erinnern. Diese inzwischen als „Weg der Erinnerung“ bekannte Veranstaltung unter Federführung der Stadt Lübbecke bindet heute neben dem DGB u. a. auch die Stadtheimatpflege, die Evangelisch-lutherische und die Katholische Kirchengemeinde der Kernstadt sowie die weiterführenden Schulen ein.

Das Thema für den jährlichen „Weg der Erinnerung“ wird im gemeinsamen Vorbereitungskreis festgelegt und von den beteiligten Schulklassen vorbereitet. Die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema erfolgt dabei unter archivpädagogischer Betreuung durch das Stadtarchiv. Dadurch wird den beteiligten Schülerinnen und Schülern ein persönlicher Zugang zu dieser erschütternden Zeit der deutschen Geschichte und der Lokalgeschichte ermöglicht. Zudem kann vermittelt werden, welche Chancen eine aktive Einbindung in die gesellschaftlichen Belange und eine mündige Bürgerschaft bieten. So greift der „Weg der Erinnerung“ das auf, was die Bodenplatte am „Platz der Synagoge“ fordert.

Neben dem Gedenkstein, der Bodenplatte und dem „Weg der Erinnerung“ gibt es in Lübbecke über das Stadtarchiv und die Angebote von Lübbecke Marketing noch weitere Angebote, sich mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde Lübbecke und der NS-Zeit auseinanderzusetzen.